Um Leben Und Tod
einer engen Holzkiste in einem Ferienhaus in der Eifel gefangen gehalten worden war? Bei seiner Festnahme kurz nach der Lösegeldübergabe wurde auf den mutmaÃlichen Täter von einem Angehörigen des MEK unmittelbarer Zwang ausgeübt. Der Entführer verriet das Versteck, und Denis wurde lebend dort gefunden. Obwohl der Kollege in einer Selbstanzeige zugab, den Tatverdächtigen geschlagen zu haben, stellte die Staatsanwaltschaft unter Verweis auf den Notstandsparagrafen 34 StGB das Ermittlungsverfahren gegen ihn ein. Der Beamte stieg einige Jahre später auf in den höheren Polizeivollzugsdienst und wurde Leiter einer gröÃeren Organisationseinheit.
Aber Schilling wollte anscheinend die Gewissensnot der Polizei nicht sehen. Er war bekannt dafür, kompromisslos gegen Polizeibeamte vorzugehen. Von ihm hatte Daschner kein Verständnis zu erwarten.
Denis wurde gerettet, aber niemand hätte Jakob retten können, sein Mörder hatte ihm diese Möglichkeit nicht gelassen.
Daschner spannte das Papier in seine Schreibmaschine und tippte los.
PolizeivizepräsidentFrankfurt, 01.10.2002
Da/stApp.: 80001
Entführung des Kindes Jakob von Metzler, geb. 17.04.1991
Am 30.09.2002, gegen 22.45 Uhr, teilte mir KOR [Kriminaloberrat] Edwin F. [Name geändert] mit, dass der Tatverdächtige Magnus Gäfgen weiterhin keine Angaben zum Verbleib des vermissten Kindes gemacht habe. Für den Fall der weiteren Weigerung habe ich die Anwendung unmittelbaren Zwanges angeordnet. Nach Sachlage ist davon auszugehen, dass sich Jakob von Metzler, sofern er noch am Leben ist, in akuter Lebensgefahr befindet (Entzug von Nahrung und Flüssigkeit, AuÃentemperatur).
Am 01.10.2002, um 06.15 Uhr, teilten mir KOR Edwin F. und KOR Werner T. [Name geändert] mit, dass Gäfgen mittlerweile freiwillig ausgesagt habe. Nach seinen Angaben seien weitere Tatverdächtige festgenommen und Wohnungen â ohne Erfolg â durchsucht worden. Angeblich werde Jakob von Metzler in einer Hütte am Langener Waldsee festgehalten (der Beschreibung nach könnte es auch der Walldorfer Badesee sein). Dort werden zurzeit mehrere Hundertschaften zusammengezogen. Wegen des ausgedehnten Geländes und fehlender Eingrenzungsmöglichkeiten ist mit einer langen Suchaktion zu rechnen.
Der Vernehmungsbeamte des Gäfgen sei der Ansicht, dass dieser die Wahrheit gesagt habe. Im Gegensatz dazu vertrete der Polizeipsychologe S. die Auffassung, dass es sich um ein Lügengebäude handele.
Zur Rettung des Lebens des entführten Kindes habe ich angeordnet, dass Gäfgen
â nach vorheriger Androhung
â unter ärztlicher Aufsicht
â durch Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen)
erneut zu befragen ist. Die Feststellung des Aufenthaltsortes des entführten Kindes duldet keinen Aufschub; insoweit besteht für die Polizei die Pflicht, im Rahmen der VerhältnismäÃigkeit alle MaÃnahmen zu ergreifen, um das Leben des Kindes zu retten.
Parallel dazu wurde der Polizeiführer Werner T. beauftragt, zu prüfen, ob ein »Wahrheitsserum« beschafft werden kann.
Die Befragung des Gäfgen dient nicht der Aufklärung der Straftat, sondern ausschlieÃlich der Rettung des Lebens des entführten Kindes.
Die von KOR Achim W. erhobenen moralischen Bedenken wurden in einer weiteren Besprechung mit AD [Abteilungsdirektor] Ritter, KOR W. und KOR Werner T. zurückgestellt (08.00).
KHK [Kriminalhauptkommissar] Ennigkeit wurde angewiesen, den Beschuldigten Gäfgen auf die bevorstehende Verfahrensweise vorzubereiten.
Um 08.25 Uhr teilte Herr Ennigkeit mit, dass Gäfgen »im Konjunktiv« eingeräumt habe, dass Jakob von Metzler tot sei. Später ergänzte er diese Aussage durch den Hinweis auf eine Hütte im Bereich des Langener Waldsees und den Fundort der Leiche bei Birstein.
Durch das inzwischen abgelegte Geständnis war die MaÃnahme entbehrlich.
Daschner
Der Vermerk wurde zu den Akten gegeben.
Daraufhin informierte Daschner seinen vorgegebenen Verbindungsmann zum Innenministerium.
Das Handy klingelte. Hans-Joachim Wölfel drückte die Antworttaste.
»Wir haben die Kindesleiche gefunden. Bitte sag der Familie noch nichts. Polizeipräsident Weiss-Bollandt ist auf dem Weg und möchte den Eltern die traurige Nachricht persönlich übermitteln.«
Wölfel steckte sein Handy schnell in die Hosentasche, als könnte er mit dem Verstecken des
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