Um Mitternacht am schwarzen Fluß
Polizeipräsidenten. Wahrscheinlich kommt
er erst Sonntagabend zurück.“
„Wer vertritt ihn?“
„Wenn’s um eine Vermißtenmeldung geht,
macht das der Böhml.“
„Um Himmels willen!“
Die TKKG-Bande kannte den Kriminalmeister
Claus-Dieter Böhml, hatte aber diese Bekanntschaft nicht vertieft, weil sie
Böhmls Fähigkeiten geringschätzte. Mit diesem Urteil stand sie nicht allein.
„Den halten wir draußen“, sagte Tim. „Wir
ermitteln. Willi und ich haben schon angefangen.“
„Ach?“
Er erzählte, was sie in der
Turmacker-Straße gesehen hatten.
„Wir haben Glück, Pfote. Elwe ist heute
EvD (Erzieher vom Dienst), und der sieht nie in die Buden. Wir hängen
unsere Strickleiter ins Weinlaub, damit uns nachher der Rückweg offensteht.
Jetzt können wir zur Tür und durchs Tor hinaus spazieren. Hast du ein
Telefonbuch? Sieh doch mal nach, wo die Eckert wohnt.“
„Tim, die hat nie und nimmer was auf
dem Kerbholz. Tanja sagte mal, die Eckert sei seit 13 Jahren in der Firma. Und
immer redlich und treu.“
„Das besagt gar nichts. Sie ist ein
spätes Mädchen. Stell dir vor, sie hat sich in einen Ganoven verliebt. Und der
beschließt, Tanja zu entführen, um Lösegeld zu erpressen. Dann könnte ihm die
Eckert in die Arme arbeiten, weil sie sich im Zustand verminderter
Zurechnungsfähigkeit befindet. Vor Gericht wirkt sich so was strafmildernd aus.“
„Verliebtheit?“
„Die geistige Verwirrung, die daraus
entsteht.“
„Wie soll ich das verstehen? Du bist
immer bei klarem Verstand.“
„Ich... äh... kann trennen zwischen
Gehirn und Herz. Dir gehört mein Herz. Das Gehirn behalte ich. Das brauche ich
zum Denken. Aber verliebten Frauen, besonders Buchhalterinnen, fällt diese
Abgrenzung schwer.“
„Ich merke schon. Frauen können mal
wieder nicht mithalten. Im übrigen fällt mir ein, daß deine Mutter, die ich
sehr liebe, auch Buchhalterin ist.“
„Das ist mir bekannt. Auf meine Mutter
trifft das alles nicht zu. Schließlich gibt’s auch rühmliche Ausnahmen. Nun
sieh nach, wo die Eckert wohnt.“
„Zu Befehl, Herr General.“
Tim seufzte. „Herzallerliebste
Gabriele! Darf ich dich in aller Bescheidenheit demütigst bitten, mir die
Adresse...“
„Fasanen-Weg 18“, fiel sie ihm ins
Wort. „Weißt du, wo das ist?“
„Ich glaube, hinter der Falken-Straße.“
„Aber noch vor der Schwalben-Gasse“,
lachte sie.
„Stimmt, Pfote. Bis später. Du erfährst
ja als erste, ob wir was rausfinden.“
„Vielleicht haben wir auch Glück, und
mein Papi ist morgen schon zurück. Dann wären wir im Ernstfall nicht auf den
doofen Böhml angewiesen.“
Tim legte auf. Er holte Klößchen vom
Tisch weg.
Sie traten ins Freie, schlenderten über
den Pausenhof, vorbei am Parkplatz, am Fahrradkeller und hinaus zum Tor.
Sie holten ihre Drahtesel hinter dem
Gebüsch hervor und preschten über die Chaussee.
Es
war Nacht. Herbstwetter. So heiß es mittags noch sein konnte, so kühl wurden
die Abende. Ein gelber Halbmond stand am Himmel. Nur wenige Sterne zeigten
sich. Jenseits der Stadt beim Flugplatz stiegen zwei Jumbos auf.
„Und wenn sie nun gar nicht zu Hause
ist?“ japste Klößchen, dem das Tempo zu hoch war.
„Wo soll sie denn sein? In der Disco?“
„Hähähä“, meckerte Klößchen. „Nee. Aber
vielleicht gehört sie einem Gesangverein an.“
„Dann setzen wir uns auf die Fußmatte
und warten, bis sie kommt.“
Fasanen-Weg — das ist im Süden der
Stadt.
Sie
brauchten nicht lange. Dann waren sie vor dem schmucken Mehrfamilienhaus und
sprangen aus dem Sattel.
14. Die Lüge geht weiter
Sie hatte die Hölle durchgemacht. Aber
nur anfangs: im Büro der Leihmeiers und kurz danach.
Obwohl für alle Angestellten der
Feierabend anbrach, hatte Dietlinde Eckert an ihrem Schreibtisch gesessen und
mit sich gerungen.
Sollte sie die Wahrheit sagen? Sollte
sie riskieren, daß sie wegen Unzuverlässigkeit und Unwahrheit entlassen wurde?
Bei dem Gedanken zitterte sie. Sie
begann, sich Vorwürfe zu machen. Aber damit hörte sie bald wieder auf.
Nein, sie hatte keine Möglichkeit
gehabt, Tanjas Wunsch abzuschlagen. Das Mädchen hätte sich sonst wie eine Irre
aufgeführt. Bestimmt! Dietlinde mochte sie nicht. Jedenfalls nicht allzusehr.
Und sie wußte, daß das auf Gegenseitigkeit beruhte.
Sie hielt Tanja für verwöhnt, verzogen,
verzärtelt. Mit den reichen Eltern hinter sich, da war es leicht, unbeschwert
die Jugend zu genießen.
Sie selbst kannte nichts davon.
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