Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz
erweitert, meinen Genuss erhöht, meiner persönlichen Entfaltung dienlich ist, und ich in dieser neuen Gemeinsamkeit neue Freiräume gewinne. Glaube ich nicht daran, in dem neuen »Wir« neuen Raum zu gewinnen, wird sich meine Beziehungsangst kaum verringern.
Alle Angst vor Bindung löscht aber nicht unsere Sehnsucht nach einem Partner aus. Wir brauchen einen Partner, das fühlen wir, und niemand wird uns hindern, erste Schritte einer Partnersuche zu unternehmen. Natürlich sind wir nicht nur Getriebene unseres Bedürfnisses nach einem Partner oder unserer Einsamkeit, wir lassen uns auch anziehen von Ästhetik, von Schönheit, von Sexualität, manchmal auch von Statussymbolen oder schlicht von Geld und Besitz. Alles das scheint nur dazu geschaffen, uns in eine Bindung zu drängen. Begegnen wir einem Menschen, mit dem wir uns eine Beziehung vorstellen können, und er verspricht uns eine wunderbare Zukunft, in der alles zueinander passt: Liebe und Sexualität, überhaupt alles, steigt plötzlich die alte Angst in uns auf, und wir wollen nichts als weglaufen. Eine Tatsache müssen wir uns bewusst machen: Bei jeder Entscheidung kommt es in der Hauptsache nicht darauf an, wofür wir uns entscheiden, sondern darauf, worauf ich dabei verzichten muss, was ich dafür loslassen muss. Sobald ich mich auf einen Punkt zubewege, entferne ich mich von einem anderen. Diese Regel gehört zu den unumstößlichen kosmischen, räumlichen und psychologischen Grundgesetzen. Es wird sich nie etwas daran ändern. Der Preis, den man für gewünschte Nähe zahlt, muss sich also lohnen.
Die Ehe entsprach in der Vergangenheit mehr als heute dem, was man den »Bund fürs Leben« nannte und manchmal noch nennt. Der Ausdruck bedeutet schlicht und ergreifend: Es führt kein Weg zurück. Es handelt sich um eine Einbahnstraße und es gibt keine Optionen. Und das macht
uns Angst. Dieser way of no return lässt uns zögern. Heute gibt es Alternativen, die allerdings, wie ich schon angedeutet habe, ihren Preis haben. Ein Grund für die aktuelle hohe Ehescheidungsrate ist mit einiger Sicherheit in einer nicht überwundenen Beziehungsangst zu suchen. Denn der Pendelschlag zwischen dem Wunsch »ich will« und dem Zweifel »will ich wirklich?« bleibt nie stehen. Selbst dann, wenn ich mich in einer Beziehung wohlfühle, kommt der Moment, in dem ich meiner Freiheit nachtrauere, in dem das Bedürfnis nach Freiraum mich geradezu überfällt. Wage ich es nicht, meinem Bedürfnis Ausdruck zu verleihen, weil es egoistisch klingen könnte oder aus Angst, missverstanden zu werden, entwickeln sich Aggressionen in mir. Ich werde unzufrieden mit dem Partner und beginne, ihn zu kritisieren, gleichgültig, was er tut. Ich beginne, gegeneinander aufzurechnen, was ich schon alles für den Partner getan habe und wie wenig er für mich. Wenn wir darin fortfahren, statt Aussprache, Ausgleich und Kompromiss zu suchen, so tun wir nichts anders, als Gründe für eine Flucht aus der Beziehung zu sammeln.
Gefährlich können uns auch Idealbilder werden, die wir uns schaffen, entweder von uns selbst oder vom Partner. Irgendwann werden wir erkennen müssen, dass die Wirklichkeit den Idealbildern gegenüber nicht bestehen kann, wir sind enttäuscht, dass der Partner dem schönen Bild in unserer Vorstellung nicht entspricht, und ängstigen uns vor seiner parallelen Erkenntnis, dass wir wiederum seinem Idealbild von uns nicht entsprechen. Wir ziehen uns zurück, weil wir nicht als Versager dastehen wollen. Die Angst zu versagen kann so groß sein, dass wir lieber allein bleiben, als uns dem Vergleich zur Illusion eines Idealbildes auszusetzen. Umgekehrt werden wir die liebliche Prinzessin oder den Ritter auf dem weißen Pferd unserer Fantasie in der Realität auch nie zu sehen bekommen, sind desillusioniert davon, dass Menschen immer nur Menschen bleiben und keine Märchenfiguren sind. Menschen sind auch keine Monster. Wir verwenden zwar die Begriffe Monster, Bestie et cetera für Menschen, die fürchterliche Verbrechen begangen haben, schauen wir ihnen jedoch einmal unvoreingenommen ins Gesicht, werden wir erkennen, dass es Menschen sind wie der Nachbar von nebenan, wie wir selbst: klein, schwach, unsicher, aufmerksam, mit allen Eigenschaften versehen, die Menschen eben haben, und trotzdem haben sie schreckliche Dinge getan. Indem wir sie mit Ausdrücken wie »Ungeheuer« oder »Monster« benennen, schieben
wir sie in Distanz von uns, vielleicht weil wir sonst vor uns selbst
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