Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz
Angst haben müssten. Ähnliches gilt für die Märchenfiguren unserer Fantasie. Sie spuken immer in unseren Köpfen, sodass die Realität gegen sie keine Chancen hat.
Im täglichen Umgang miteinander wird häufig genug über Bindungsangst und Bindungsüberdruss gesprochen: »Ich will mich einfach nicht fesseln lassen, fühle mich wie angekettet, habe keinen Spielraum mehr« und so weiter. Weit seltener spricht jemand von dem Glück, in seiner Beziehung Raum für sich selbst zu haben, um sich selbst entfalten zu können.
Dennoch ist das Bedürfnis nach Nähe unvermindert stark ausgeprägt. Nach wie vor setzen wir alle Energie dafür ein, einen Partner zu gewinnen. Wir versuchen sogar, wenn nötig, uns selbst zu verändern - ich möchte nicht sagen, uns selbst zu betrügen -, wenn es dazu beitragen könnte, der ideale Partner für den anderen zu sein oder als solcher zu scheinen. Allerdings geben wir uns später auch genauso viel Mühe, der Partnerschaft wieder zu entkommen. Wir benutzen uns selbst gegenüber jede denkbare Ausrede, nur um zu rechtfertigen, dass alles, was wir wollen, in diesem Moment heißt: nichts als raus! Wir haben einfach keine Zeit mehr. »Ich komme ja zu gar nichts mehr!« Unsere Ausreden bezeichnen unseren Zwiespalt. Sie beginnen alle mit der Floskel: »Ich liebe dich, aber …«. Wir sind hin- und hergerissen. Je nach unserem momentanen Bedürfnis machen wir aus dem Partner entweder einen Engel oder einen Teufel. Es hat nichts mit dem Partner selbst zu tun, sondern einzig mit unserer eigenen Verfassung: Brauchen wir gerade Nähe oder brauchen wir in diesem Moment Distanz?
Streit schafft Distanz. Wir suchen manchmal Streit, weil wir uns dem anderen im täglichen Einerlei zu nah gekommen fühlen und nicht wissen, wie wir uns dieser quälenden Nähe entziehen können. Dann ist es das Einfachste, einen Streit vom Zaun zu brechen, was es uns möglich macht, uns wenigstens innerlich vom Partner zu distanzieren. Danach macht sich wieder der Wunsch nach Nähe bemerkbar und es tut sich wieder die Tür zu einer schönen Versöhnung auf. Das Bedürfnis, einander in die Arme zu nehmen und sich zu lieben, kehrt erneut zurück. Eine dauernde Umarmung würden wir genauso wenig wie den Dauerzustand einer idealen Liebe überhaupt noch wahrnehmen. Denn wahrnehmen lassen sich nur Unterschiede. Deshalb werden wir, ob wir wollen oder nicht, uns immer der Pendelbewegung von Nähe und Distanz überlassen müssen.
Die zwei Seiten der Medaille: Das Ja und das Nein
Zu einem Ja gehört immer das Nein. Wir brauchen das Nein, weil es die Distanz markiert. Nein zu sagen ist der Ausdruck unseres legitimen Bedürfnisses nach Distanz. Wir haben es zu akzeptieren und zu respektieren, wenn wir es von unserem Partner zu hören bekommen. Das Nein verlangt nach Distanz und verweigert die Nähe, das kann sich auf physische Annäherungswünsche beziehen oder auf Ansichten, Vorstellungen oder Behauptungen, die wir nicht annehmen wollen. Ob in der Familie, am Arbeitsplatz oder in der Öffentlichkeit, ein Nein sollte erst einmal grundsätzlich akzeptiert werden - nicht nur im hierarchischen Gefälle von oben nach unten, sondern ebenso in umgekehrter Richtung. Ein Nein setzt stets Grenzen. Wenn wir es genauer betrachten, bedeutet es ein Ja für den Rest. Die Frage wird also sein, ob es absolut gelten soll oder Optionen für Veränderungen offen lässt, für Einschränkungen oder Auflagen. Wie ernst die Sache mit dem Nein werden kann, liegt auf der Hand. Das Nein zum Leben ist gleichbedeutend mit dem Tod. Ein Nein zu Menschen und Ideen führt in die Isolation. Isolation lässt unser Inneres veröden und führt zum seelischen Tod. Das Individuum bedarf der Nähe, die Austausch bedeutet, denn ohne Austausch wiederum entsteht keine Nähe. Wenn ich nichts von mir hergeben will, wird es keinen Austausch geben. Eros verlangt nicht nur Nähe, sondern auch den Austausch. Ist es zu Nähe und Austausch gekommen, wird unser Ich sich notwendigerweise wieder distanzieren wollen. Auch nach dem intimsten Austausch verlangt es jeden der Partner danach, sich wieder zu sich selbst zurückzuziehen. So folgen Verlangen nach Nähe und Verlangen nach Distanz einander in permanentem Wechsel. Darin liegt ein bedeutender Teil der Dynamik des Lebens.
Fehlender Austausch führt zu negativen Konsequenzen, die den Mangel kompensieren sollen. Dazu gehören ungezügelter Ehrgeiz, Machtstreben, Rücksichtslosigkeit, insbesondere gegenüber Abhängigen, die ewige
Weitere Kostenlose Bücher