Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel
beiläufig hergestellte Gebilde, auf Postkarten im Café hingekritzelt, tragen das Signum des Frischen, Neuen, so noch nie Dagewesenen, des ein für allemal Gültigen. Das Groteske führt uns das unser Leben Deformierende vor: das Unabwendliche, hier wird’s Ereignis.
Blödem Volke unverständlich
treiben wir des Lebens Spiel.
Gerade das, was unabwendlich,
fruchtet unserm Spott als Ziel.
Bedauerlich ist es, daß die deutschen Leser die Nennung seines Namens meist nur mit dem berühmten Wiesel, das auf einem Kiesel sitzt, inmitten Bachgeriesels, und zwar »des Reimes wegen«, verbinden. Darüber hinaus ist vielleicht noch das Huhn in der Bahnhofshalle bekannt, »nicht für es gebaut«; beim Lattenzaun, »mit Zwischenraum, hindurchzuschaun«, ist dann gewöhnlich
Schluß: »Der Architekt jedoch entfloh/nach Afri od Americo«.
Übersehen wird zumeist der zeitkritische Ansatz, etwa in dem Gedicht »Laß sie Dreadnoughts bauen und Überdreadnoughts«. Ein Gedicht also über Schlachtschiffe in einer Zeit, da die Deutschen (und die anderen Europäer) sich an schimmernder Wehr ergötzten. Die sich anbahnende Katastrophe des Weltkriegs hat er vorausgeahnt. »Singend gehn die Völker zu Bett, und singend gehn sie zum Frühstück« — ein paar Jahre später gingen sie singend in den Tod.
Wir sind Zeuge eines unerhörten Vorgangs: Urplötzlich, aus der Menge der ihrer Zeit verhafteten Literaten, jenseits aller Konventionen und gewöhnlichen Sensationen hat hier einer einen Weg gefunden, der in Bereiche führt, von denen sich die Menschen damals (bis dato) keine Vorstellung machten. Er hat zwar Nachahmer gefunden, aber keine Nachfolger, er hat keine Schule gegründet, weil er nichts übrig ließ. Und doch ist die moderne Dichtung ohne ihn nicht vorstellbar. Man kann ihn gar nicht überschätzen. Er steht auf einsamer Höhe.
Christian Morgenstern ist in unserer deutschen, nicht gerade von Humor beseelten Literatur eine Art Ehrenrettung, einer der seltenen Glücksfälle im Geistesleben einer Nation. Das Knie, das einsam durch die Welt geht, das Huhn in der Bahnhofshalle, das ist das Akute, mit dem wir es heute zu tun haben. Das große La-lu-la wird das Ergebnis sein.
Übrigens, und das ist ebenfalls kurios und für einen Deutschen recht bemerkenswert: 1871 geboren — 1914 im März gestorben: Er hat also keinen Krieg erlebt.
Robert Musil
Robert Edler von Musil wurde 1880 als Sohn eines Waffenfabrikdirektors und späteren Hochschulprofessors in Klagenfurt geboren. Seine Kindheit verbrachte er in einer Militärerziehungsanstalt (später in »Die Verwirrungen des Zöglings Törleß« beschrieben); der junge Offizier widmete sich dem Artilleriestudium und wurde Maschinenbauingenieur. Dann studierte er in Berlin Mathematik und Philosophie.
Der Dr. phil. versuchte sich als Redakteur und als Bibliothekar. Im Ersten Weltkrieg war er k. u. k. Hauptmann an der Italienfront, wo es schlimm zuging, zuletzt Herausgeber einer Soldatenzeitung. In den Anfangsjahren der Republik Österreich avancierte er zum Chef des Bildungsamtes im Heeresministerium, für kurze Zeit. Als eiskalt wird er beschrieben, verschlossen und stolz, maßlos eitel und elegant (er trug nur beste maßgeschneiderte Anzüge). Nach dem »Anschluß« emigrierte er in die Schweiz. Im Dianabad am Donaukanal erlitt er schon 1936 einen leichten Schlaganfall, bei dem er beinahe ertrunken
wäre, sechs Jahre später ist er an einem Gehirnschlag gestorben.
Über Robert Musil reden bedeutet über Adolf Frisé reden, der uns eine Rekonstruktion des »Mann ohne Eigenschaften« gegeben hat, und das ist ein großes Verdienst. Andererseits hat er die Edition der Musil-Tagebücher mit Stolperdrähten bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet: eckige Klammern, Anmerkungen der verschiedensten Art. (Außerdem schlecht datiert!)
Über Musil reden bedeutet auch über Geld reden. Er war »ein verwöhntes Bürger- oder Großbürgerkind«, wie sein Biograph Karl Corino schrieb, erlebte eine »gesicherte Jugend« und lebte bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr auf Kosten seiner Eltern. Später im Schweizer Exil konnte er die Miete nicht bezahlen, empfing von Thomas Mann Schecks und schmähte ihn dessen ungeachtet 34 . Seine Nachkommen haben seine Werke dann so verteuert, daß kaum einer sie kaufen kann.
Sein Beobachten des stillen feinen Tuns der Fischer, die Regenwürmer zerrissen, um mehr Köder zu haben. Sein Vorschlag, Denkmäler in der Art von Schaufensterbären zu konstruieren, die mit
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