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Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel

Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel

Titel: Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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indifferenti«, »Die Gleichgültigen«, einem der größten Erfolge in der modernen italienischen Literatur, über Nacht berühmt.
    Er arbeitete als Journalist in Turin und als Auslandskorrespondent in London, reiste nach Polen, Amerika und in den Fernen Osten. Er war ständig unterwegs, lebte in Hotels, immer auch auf der Flucht: Er war kein Freund des
italienischen Faschismus. In seinen Schriften übte er bissige Kritik an den Zuständen in seiner Heimat. Seine Bücher wurden ganz folgerichtig verboten. Auch nach dem Sturz des Duce im Juli 1943 schrieb er antifaschistische Artikel. Die Gestapo wurde auf ihn aufmerksam. Neun Monate hielt er sich bei Bauern versteckt.
    Nach dem Krieg lebte Alberto Moravia in Rom, veröffentlichte Romane, Kurzgeschichten und Theaterstücke. Seine »elegant-anonyme« Wohnung soll wie der Empfangsraum der Schweizer Botschaft gewirkt haben, allerdings ohne Reiseprospekte und Antragsformulare. In den siebziger Jahren erst wurde er wirklich seßhaft. Er ließ sich bei Sabaudia, eine Autostunde von Rom entfernt, am Strand ein Doppelhaus bauen, das er sich mit dem Filmregisseur Pier Paolo Pasolini teilte. Es war karg ausgestattet. An einem Schreibtisch aus afrikanischem Holz, den ein Philosoph für ihn gebaut hatte, schrieb er jeden Morgen (Seeblick!), nachmittags kaufte er in Sabaudia Bücher und seine bunten amerikanischen Hemden. Nach achtzehn gemeinsamen Jahren verließ ihn seine Freundin Dacia Maraini, eine Schriftstellerin, und er verbrachte einige Jahre »auf die für mich übliche Weise: mit Schreiben und auf der Suche nach einer neuen Gefährtin«. Mit vierundsiebzig Jahren verliebte er sich noch einmal, und zwar in eine dreißigjährige Katalanin. Im Wohnzimmer lagen sie sich dann auf geblümten Korbsofas gegenüber, stundenlang lesend.

Christian Morgenstern
    Die deutsche Literaturgeschichte oder, besser gesagt, die deutsche Dichtergalerie weist bis in neueste Zeiten die sonderbarsten Individuen auf. Fast über jeden unserer großen Schriftsteller läßt sich Merkwürdiges sagen. Der eine, Adalbert Stifter, litt unter Freßsucht, der andere, Mörike, lebte mit zwei Frauen zusammen und schwieg zehn Jahre lang, Kafka hatte abnorme Minderwertigkeitsgefühle, E. T. A. Hoffmann machte es Spaß, andere Menschen zu erschrecken, Rilke hielt sich für adlig, Stefan George umgab sich mit einem Männerorden und kleidete sich gelegentlich römisch.
    Diese Liste könnte beliebig verlängert werden. Bekanntlich ist jeder menschliche Charakter eine Abweichung von der Norm. Bei Christian Morgenstern ist das Skurrile anscheinend ganz in seine Dichtung eingeflossen, denn aus seinem Leben ist weiter nichts Sensationell-Abartiges zu berichten.
    Auch die etwas eigenartige Bruderschaft des »Galgenberges« ist nur ein Teil seiner Dichtung im Sinne einer
action, wie wir heute sagen würden: Ernsthafte Männer treffen sich regelmäßig und verbringen Stunden unter den sonderbarsten, an Freimaurerei und Geheimgesellschaften erinnernden Riten.
    Morgensterns Lyrik zerfällt in zwei Teile, in sehr merkwürdige, von Anthroposophie angeregte, etwas schwülstige Verse und in groteske. Von seiner Gedankenlyrik, die den größten Teil seines Schaffen ausmacht, will ich hier nicht reden, sie ist mir nicht zugänglich – ehrlich gesagt: Ich mag sie nicht. Mich interessieren allein die grotesken Gedichte, in denen Morgenstern bis heute lebt, frisch wie der junge Tag, jene Reihe von Publikationen, die mit »Horatius Travestitus« 1897 begann, sich in den »Galgenliedern« 1905, »Palmström« 1910 fortsetzt und postum mit den Publikationen »Palma Kunkel« 1916 und »Der Gingganz« 1919 sein Ende findet. 33
    Reden wir also über die »Galgenlieder«, für mich eines der wichtigsten Bücher dieses Jahrhunderts. Die ersten Gedichte dieser Sammlung entstanden 1895 für einen lustigen Kreis, der sich auf einem Ausflug nach Werder bei Potsdam mit dem Namen eines dortigen Galgenberges schmücken zu müssen meinte. Auf Versammlungen in Kneipen, die Morgenstern mit einem rostigen Schwert
auf dem Tisch leitete, wurden sie auch zu Klavierbegleitung gesungen. Nicht selten mußte der Wirt zu späterer Stunde einschreiten und die erheiterten Bundesbrüder zur Ordnung rufen.
    Über zweihundert groteske Gedichte hat Christian Morgenstern geschrieben, 1933 wurden sie unter dem Titel »Alle Galgenlieder« vereinigt. Der echte Morgenstern-Fan kennt sie sämtlich. Alles, was Morgenstern von sich gibt, ist gediegen. Sogar eher

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