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Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel

Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel

Titel: Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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dem Stock an die Scheibe schlagen, damit man sie wahrnimmt. Auch der schöne Satz »Sie ist halt blöd, das arme Hascherl« – das alles ist in seiner Kurzprosa zu finden, den kostbaren Erzählungen, die hiermit nachdrücklich zur Lektüre empfohlen werden. Eine gewisse eisige Glätte wird unvermutet durch Humor gemildert.

Vladimir Nabokov
    Vladimir Vladimirowitsch Nabokov entstammte einer vornehmen russischen Aristokratenfamilie mit Stadtpalais in St. Petersburg und Herrenhaus auf dem Land. Nach der Flucht vor der bolschewistischen Revolution studierte er in Cambrigde, in den zwanziger Jahren lebte er in Berlin, dem Zentrum der russischen Exilanten. Die zweite Emigration führte ihn über Paris in die USA, wo er nach dem Krieg als Professor an der Cornell-Unversität und in Harvard lehrte. Die letzten sechzehn Jahre seines Lebens bewohnte er eine Suite des Palace-Hotels in Montreux.
    Obwohl Nabokov ja nicht gerade ein Freund der Deutschen war, was man verstehen kann, weil sein jüngerer Bruder im Krieg umgekommen ist, hat er hierzulande immer eine gute Presse gehabt. Wer einen Band der großen braun-silbernen Rowohlt-Ausgabe, von dem klugen Dieter E. Zimmer herausgegeben, einmal in der Hand gehabt hat, der wird nicht ruhen, bis er auch die anderen Bücher auf dem Gabentisch findet: Auf die Memoiren »Erinnerung, sprich« sollte er keinesfalls verzichten.

    Zu bedauern ist, daß von diesem Schmetterlingsfreund, der jedes Frühjahr mit seiner Frau auf Falterjagd ging – einer trägt sogar seinen Namen, »Plebeius (Lysandra) cormion Nabokov« –, kein selbstillustriertes Lepidopteren-Lexikon existiert, in der Art von feinkolorierten englischen Anglertagebüchern. Hier sind wir auch auf den Nachlaß von Jünger gespannt.
    Georg Christoph Lichtenberg nahm sich eine dreizehnjährige Blumenverkäuferin in sein Haus, als Schülerin zuerst und dann als Geliebte … (»Ich lernte im Jahre 1777 … ein Mädchen kennen, … ein solches Muster von Schönheit und Sanftmut hatte ich in meinem Leben noch nicht gesehen, ob ich gleich viel gesehen habe«, schreibt der Vierzigjährige an den Pfarrer Amelung.) Mich wundert, daß das noch nicht zu einer Ächtung des in unseren tonangebenden Zirkeln so beliebten Physikprofessors geführt hat.
    Goethe dagegen ist ja fein raus, der zweiundsiebzigjährige Greis mit seiner Ulrike in Marienbad, denn die war immerhin schon siebzehn.
    Was mir ein ewiges Rätsel bleiben wird, ist, daß unsere Sittenwächter mit eingelegter Lanze gegen Nabokov anreiten, Astrid Lindgrens »Pippi Langstrumpf« hingegen, deren Verfilmung zu gleicher Zeit anläuft, unbehelligt lassen. Immerhin ist die ja auch ziemlich jung und zeigt eine Menge Schlüpfer. Aber zugegeben, sie wird nicht von einem älteren Herrn betatscht.
    Ich nehme an, daß alle ernstzunehmenden Leser »Lolita«
kennen, ein Roman, der – selbst in der deutschen Übersetzung – stilistisch ohne Beispiel ist. Und darauf kommt es letztlich an, denn, wie sagten die Alten: Kunst ist Stil. Schnitzler, Wedekind – gleichviel, wir haben in Deutschland nichts, was sich mit diesem provokativen Werk, das ein moderner Klassiker geworden ist, vergleichen ließe. In den USA gab es beim Erscheinen des Buches 1958 einen Skandal, der sich dann irgendwie doch erledigte. Nabokov war der »Lolita«-Stoff anscheinend so wichtig, daß er für die erste Verfilmung durch Stanley Kubrick 1961 ein Drehbuch verfaßte, das aber, wie man hört, unberücksichtigt blieb.

Marcel Proust
    Zwei Porträts kenne ich von Marcel Proust: eines als Infanterist in Orleans, trotz der maßgeschneiderten Uniform krumm und schief, eine sogenannte Schießbudenfigur darstellend (auch von Thomas Mann existiert eine ähnliche Aufnahme), und das andere mit der Kamelie im Knopfloch: der »kleine Marcel«, wie man ihn nannte, der jugendliche Salonheld.
    Später lag er dann, asthmakrank seit frühester Kindheit, übersensibel, von Spezialräucherpulver umwabert, in seinem mit Kork tapezierten Zimmer, und plauderte mit der am Fußende des Bettes stehenden Haushälterin Céleste. Er arbeitete unentwegt an seinem großen Werk, immer gehetzt von der Angst, daß ihn ein plötzlicher Erstickungsanfall töten würde. Besucher wurden nicht mehr vorgelassen. Céleste war die einzige Gesprächspartnerin, nebenan lauerte sie auf sein Zeichen, Tag und Nacht, seine Mutter und sein Kind zugleich. Geheiratet hat er nie. Was könne er schon mit einer Frau anfangen, die zu allen möglichen Tees gehen und zu

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