Umwege zum Glück
was sagt dein Uwe dazu?“
„Ach der“, sagte ich und versuchte, meine Stimme sehr unbeschwert und sehr leicht klingen zu lassen. „Der sagt nichts, der hat doch schon längst eine andere Freundin; außerdem war es nie so ernst mit uns.“
„Hm“, sagte Jessica und sah mich forschend an. „Nun ja, das wirst du selbst am besten wissen. Aber Glück hast du, Reni!
Kaum hat Uwe eine andere Freundin, taucht bei dir sein Nachfolger auf, mit einem feudalen Auto – und Kalbsschnitzel und Schokoladenpudding an einem Montag! Habe ich es nicht immer gesagt – rote Haare und Sommersprossen müßte man haben!“
Es war Abend. Mein Taktgefühl hatte es mir geboten, Falko und Jessica zu verlassen.
Ich fuhr nach Hause in meine Bude.
Es war so still in der Wohnung. Vielleicht war Frau Hansen ausgegangen. Ich machte das Licht an, und plötzlich kam mir mein Zimmer so furchtbar leer vor. Mit einemmal überwältigte mich ein Einsamkeitsgefühl, etwas, was ich bis jetzt nie erlebt hatte. Die Wirkung der „schmerzstillenden Tablette“ hatte nachgelassen. Der schmerzende Punkt in meinem Inneren wuchs und wuchs, tat immer mehr weh. Jessica und Falko hatten einander – Uwe und seine Gisela hatten einander. Aber ich, ich war allein, so furchtbar, so schrecklich, so schmerzlich allein!
Ich drehte das Radio auf, nur um Stimmen zu hören.
Denk an was anderes, Reni! Denk an Weihnachten! Bald fährst du nach Hause – zu Mutti und Vati –, vielleicht kommen Kai und Madeleine zum Heiligen Abend, Silvester kommen Erich und Christel. Freue dich doch darauf, alle wiederzusehen!
Christel und Erich hatten einander. Kai und Madeleine hatten einander. Mutti und Vati hatten einander.
Nur ich war allein, das Haus war still, und mein Zimmer war tot und leer.
Dann kam, was kommen mußte. Zwei dicke Tränen kullerten über meine Wangen, und es wurden mehr und immer mehr.
Zum ersten Mal in meinem zwanzigjährigen Leben saß ich einen Abend allein und weinte bitterlich.
Tante Christiane hat das Wort
Morgens sieht immer alles anders aus.
Man hört Stimmen von der Straße, Schritte auf der Treppe. Wasserhähne werden aufgedreht, ein Flötenkessel pfeift, Frühstücksgeschirr klappert. Überall sind Menschen, ein neuer Arbeitstag beginnt, und man ist selbst eins der kleinen Rädchen in der großen Maschine der Stadt, der Gesellschaft.
Ich hatte keine schlaflose Nacht verbracht, ich war nicht appetitlos geworden, ich war nicht arbeitsunfähig. Der kleine Punkt tat noch weh, aber meine Vernunft war wach und aktiv und machte es mir klar, daß dies wirklich kein großer Liebeskummer war. Was hatte Tante Christiane gesagt? Es war meine Eitelkeit, die verletzt war. Wie hatte sie recht!
Außerdem war die Bekanntschaft mit Klaus Jährner mir wirklich eine große Hilfe, und ich freute mich sehr auf Sonntag.
Also, es ging mir besser, und das abendliche Heulen wiederholte sich nicht. Was mir am besten half, war jedoch ein Briefchen von Uwe:
„Liebe Reni! Tausend Dank für Deine Glückwünsche! Ja, wir werden uns schon einen Wunsch einfallen lassen und dir mitteilen, was Du uns schenken darfst!
Ich möchte Dir nur sagen, daß ich Dir so dankbar bin. Wie hast Du recht gehabt! Wenn ich es mir überlege, habe ich wohl ein oder zweimal etwas in Richtung Verlobung zwischen Dir und mir angedeutet, und Du hast klugerweise immer von diesem Thema abgelenkt. Du hast also die Situation viel klarer erfaßt als ich. Zwischen Dir und mir war immer nur Kameradschaft, und zwar eine ganz reizende. Das darf man aber nicht mit Liebe verwechseln! Ich habe es getan, Du warst aber die Einsichtige von uns beiden. Was die große Liebe ist, weiß ich jetzt. Bei Gisela und mir war es Liebe auf den ersten Blick! Wir sind sehr, sehr glücklich.
Ich habe Gisela von Dir erzählt, und sie freut sich sehr darauf, Dich kennenzulernen. Wir werden den Heiligen Abend hier bei ihren Eltern verbringen. Am zweiten Feiertag fahren wir aber nach Hirschbüttel und bleiben dort bis zum Semesterbeginn. Also werden wir uns mit Dir treffen, und darauf freuen wir uns beide.
Gisela läßt herzlich grüßen.
Und ich – ich bin und bleibe mit allen guten Wünschen
Dein alter Kamerad Uwe.“
Diesen Brief bekam ich am Donnerstag morgen. Mit dem Resultat, daß ich fröhlich und lächelnd bei den Donnerstagstanten aufkreuzte.
Tannenzweige in einer großen Bodenvase im Flur, ein schöner Adventskranz im Wohnzimmer. Eine mollige Behaglichkeit und eine schöne
Weitere Kostenlose Bücher