Umwege zum Glück
später klar. Tief da drinnen war ein Punkt, der furchtbar weh tat, ganz scheußlich weh, und Klaus Jährner war mir eine schmerzstillende Tablette. So eine Tablette, die zwar die Ursache des Schmerzes nicht beseitigt, aber für eine gewisse Zeit Linderung verschafft.
Während wir aßen, erzählte er, daß er Volkswirtschaft studiert und außerdem eine Handelsschule besucht hatte. Seine Familie lebe in Niedersachsen, er selbst sei in Kiel hängengeblieben, nachdem er hier studiert habe.
Ich erzählte von meinem Zuhause in Hirschbüttel, von Kai und Madeleine, ich vertraute ihm mein Alter an, und ohne es eigentlich zu wollen, erzählte ich ihm auch die Geschichte von Frau Hansens sonntäglichem Frühaufstehen.
Er lachte aus vollem Halse und gab dann ein paar ulkige Geschichten aus seiner Studienzeit zum besten. Er hatte auch allerlei Erfahrungen mit Zimmervermieterinnen.
„Jetzt habe ich es aber besser“, fügte er hinzu. „Ich habe das unwahrscheinliche Glück gehabt, eine Wohnung zu kriegen, allerdings eine Miniwohnung. Wenn man sich in der Küche umdrehen will, muß man raus auf den Flur gehen, und die Badewanne ist gerade groß genug, ein Paar Strümpfe drin zu waschen. Außerdem liegt die Wohnung im fünften Stock in einem Haus ohne Lift. Aber sonst ist sie wirklich nett. Sie sollten mich mal besuchen!“
Was sollte ich dazu sagen? Ich lächelte nur und fing an, über die Donnerstagstanten zu erzählen.
„Ein paar solche Tanten hätte ich während meiner Studienzeit auch gern gehabt!“ seufzte Klaus. „Ich hatte Vollpension bei einer Witwe, und als ich eine Woche ihre Kochkünste studiert hatte, begriff ich, weshalb sie so früh Witwe geworden war. Es gehörte Jugend und eine sehr gute Konstitution dazu, ihre Menus zu überleben!“
Der Ober brachte den Nachtisch, und da Nachtische schon immer meine Schwäche waren, hatte ich für ein paar Minuten Vollbeschäftigung.
„Fahren Sie oft nach Hamburg?“ fragte Klaus.
„Nein, es war das erste Mal. Aber ich werde es künftig wohl öfters tun. Ich habe eine Freundin hingebracht, die jedes Wochenende ihren Sohn dort besucht.“
„Wissen Sie was?“ sagte Klaus. „Wie wäre es, wenn Ihre Freundin nächstes Wochenende abgeholt statt hingebracht würde? Dann fahren wir beide Sonntag früh los, gucken uns die Weihnachtsausstellungen an, gehen in den Zoo, wenn Sie Lust haben, und dann holen wir Ihre Freundin ab. Ist das vielleicht eine Idee?“
„Sogar eine phantastisch gute!“ sagte ich. „Darauf freue ich mich!“
„Und ich erst!“ lächelte Klaus.
Etwas später tauchte ich mit einem Kuchenpaket in der Hand bei Jessica auf. Ich hatte reichlich gekauft, denn ich rechnete damit, daß Falko bei ihr sein würde. Was auch zutraf.
„Nun?“ sagte Jessica. „Hast du deine Schulden bezahlt?“
„Habe ich.“
„Hattest du Schulden, Reni?“ fragte Falko. „Hüte dich davor, nichts ist schlimmer, als den halben Monatswechsel gleich am Ersten ausgeben zu müssen, weil man Schulden gemacht hat.“
„Keine Sorge“, beruhigte ich ihn. „Meine Schulden betrugen zwei fünfzig, und als ich bezahlt hatte, bekam ich Kalbsschnitzel mit Gemüse und Schokoladenpudding mit Schlagsahne.“
„Nähere Erklärung ist dringend erwünscht“, forderte Jessica.
Ich erzählte. Von der Begegnung an der Tankstelle und von Klaus Jährners Auftauchen heute.
„Aber das alles erklärt nicht, warum du heut sämtliche Vorlesungen geschwänzt hast!“ sagte Jessica und sah mich streng an.
„Ach so – das war eine andere Geschichte. Übrigens, heute traf ich deine Tante Christiane, mit der ich Brüderschaft getrunken habe – das heißt, nicht getrunken, das müssen wir nachholen, aber die ich also Tante nennen darf. Jessica, was du sonst auf dieser Welt besitzest, weiß ich nicht, aber deine Patentante ist ein Wert, um den ich dich beinahe beneide!“
„Das sei dir erlaubt, solange du mich nicht um Falko beneidest“, sagte Jessica und legte ihren Arm um Falkos Hals.
Er küßte schnell ihre Wange.
„Ach Reni, was ich fragen wollte“, wandte er sich zu mir. „Brauchst du Theodor am Sonntag?“
„Nein, ganz bestimmt nicht. Ihr könnt ihn gern haben.“
„Du bist ein Goldstück, Reni, tausend Dank. Was hast du denn am Sonntag vor, wenn man fragen darf?“
„Du darfst gern fragen, es ist kein Geheimnis. Ich fahre mit Klaus Jährner nach Hamburg, und dann nehmen wir Anke mit zurück.“
„Donnerwetter, den hat’s aber gepackt!“ meinte Jessica. „Aber
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