Umwege zum Glück
knusprigen Entenhautstückchen mit den Stäbchen wie mit mit einer Zange zu fassen und sie zum Mund zu führen. Klaus erklärte mir, daß die Haut das Feine bei der Pekingente ist. Das andere Gericht, von dem ich auch mit Wonne die Hälfte aß, war ein Gedicht! Nein, wie können die Chinesen doch kochen!
„Ich glaube, ich muß einen Chinesen heiraten!“ sagte ich. „Wo ich doch so wahnsinnig gern gut esse!“
„Würde ein Deutscher nicht genügen, wenn er viel von chinesischem Essen verstünde und dir ein chinesisches Kochbuch als Morgengabe schenkte?“
„Ich werde es mir überlegen“, sagte ich, und dann konzentrierte ich mich sehr darauf, die letzten Reiskörnchen aus der blaugemusterten Porzellanschale rauszukriegen. Dabei sah ich Klaus nicht an. Seine Stimme hatte einen so eigenartigen Klang gehabt.
Als wir dann hinterher eingemachte Lychees gegessen hatten, stöhnte ich vor Sattheit.
„So, nun bin ich wirklich für alle Anstrengungen gestärkt!“
„Hast du denn besondere Anstrengungen vor dir?“ fragte Klaus schmunzelnd.
„Und ob! Wenn du ahntest!“
„Natürlich ahne ich. Weihnachtsgeschenke für die ganze Familie kaufen.“
„Von wegen! Nein, aber falls du morgen früh um acht gegen jegliche Vermutung wach sein solltest – “
„Gegen jegliche Vermutung! Schäme dich! Dann bin ich schon unterwegs!“
„Gut, dann denk an mich. Denn Punkt acht betrete ich zum ersten Mal den Präpariersaal, mit Kittel, Gummischürze, Gummihandschuhen und Präparierbesteck.“
„Hoffentlich auch mit einem Wiederbelebungsmittel – ich meine nicht für die Leichen, sondern für dich, wenn du in Ohnmacht fällst!“
„Daß du mir bloß nicht so was heraufbeschwörst! Übrigens, ich glaube schon, daß ich es schaffen werde. Ich kann Blut und Wunden und sogar Knochensplitter sehen, ohne hysterisch zu werden. Dann werde ich wohl auch ein bißchen an einem alten tiefgekühlten Bein rumschnippeln können.“
„Eine Ausdrucksweise habt ihr Mediziner!“ Klaus schüttelte den Kopf.
„Weißt du, ich glaube, wir versuchen uns selbst dadurch Mut zu machen“, sagte ich. „Übrigens habe ich einen Wahlspruch, der mir immer gut geholfen hat, der wird mir auch beim Sezieren helfen.“
„Und der wäre?“
„Es ist nicht schlimmer für mich als für andere.“
Klaus nickte.
„Gut. Sehr gut. Eigentlich, glaube ich, bist du ein ganz vernünftiges Mädchen.“
Ich mußte lachen.
„In dem Punkt weicht deine Meinung entschieden von der Meinung meiner Eltern ab! Mein armer Vater sagt immer, daß seine einzige Tochter schon ein paar gute Eigenschaften hat, aber daß ich zu weit hinten in der Schlange stand, als die Vernunft verteilt wurde.“
„Einzige Tochter? Ich denke, du hast eine Schwester?“
„Nur eine angenommene, sozusagen. Madeleine ist die Tochter meiner Stiefmutter. Nein, ich bin der einzige Thams-Sproß. Ich fing mein Leben damit an, einen erheblichen Fehler zu machen, nämlich den, daß ich als Mädchen auf die Welt kam. Dabei hatte Vati sich bestimmt einen Sohn gewünscht, der einmal das Werk übernehmen könnte.“
„Das ist ja schlimm! Dann mußt du ihm wohl einen Schwiegersohn verschaffen, der einspringen kann!“
„Das wäre vielleicht was! Und er könnte mich dann als Betriebsärztin anstellen!“
Wieder hatte Klaus eine andere, eine gedämpfte Stimme gehabt. Ich stand auf. Im Hintergrund hatte ich eine Tür mit einem D entdeckt. Das paßte mir gut, unter anderem weil ich für ein paar Minuten gern weg wollte. Klaus sollte Zeit haben, von diesem Gesprächsthema wegzukommen.
Ich stand und wusch mir die Hände, und dabei sah ich mich selbst im Spiegel an. Kein Mensch konnte behaupten, daß ich eine Schönheit war, mit meinen Sommersprossen und meinem großen Mund. Ein kleines, junges, unerfahrenes Mädchen aus einer Kleinstadt, eine blutjunge Anfängerin auf allen Gebieten des Lebens – was sah wohl ein erwachsener, welterfahrener Mann in mir?
Zweimal war das Wort „heiraten“ gefallen. Meinte er etwas damit oder war es nur Zufall?
„Reni, komm zu dir!“ sagte ich zu mir selbst. „Kämme nun deine zerzausten Zotteln, tu ein bißchen Puder auf all deine braunen Inseln und bilde dir keinen Blödsinn ein!“
„Was machen wir nun?“ fragte Klaus, als wir wieder im Freien waren. „Für den Zoo ist es zu spät, es wird bald dunkel. Wollen wir ins Kino gehen?“
„Ja – a – , falls es was Vernünftiges gibt.“
Wir blieben vor dem Schaukasten eines Kinos
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