Unbefugtes Betreten
fortgerissen wurden, und Senioren, die man mit Paddelbooten in Sicherheit brachte. Wir hatten über Winterdepressionen gesprochen, die Kreditkrise, die steigenden Arbeitslosenzahlen und die Wahrscheinlichkeit zunehmender sozialer Spannungen.
»Ich sag ja nur, es überrascht mich nicht, dass hier ansässige ausländische Firmen ausländische Arbeitskräfte einfliegen, wo bei ihnen zu Hause haufenweise Leute Arbeit suchen.«
»Und ich sage nur, es arbeiten mehr Briten in Europa als Europäer hier.«
»Hast du den italienischen Arbeiter gesehen, der den Fotografen den Stinkefinger gezeigt hat?«
»Allerdings, und ich bin sehr dafür, ausländische Arbeitskräfte herzubringen, wenn die aussehen wie der.«
»Schenk ihr nicht mehr nach, Phil.«
»Auf die Gefahr hin, wie der Premierminister zu klingen oder eine dieser Zeitungen, die wir nicht lesen, ich finde,britische Arbeiter haben Anspruch auf britische Jobs.«
»Und britische Frauen auf europäischen Wein.«
»Das ist keine logische Folgerung.«
»Nein, das ist eine geselligkeitsbedingte Folgerung, was auf das Gleiche hinausläuft.«
»Als der Ausländer an diesem Tisch …«
»Ruhe bitte für den Sprecher unserer ehemaligen Kolonie.«
»… erinnere ich mich, wie ihr über die Einheitswährung gestritten habt. Ich hab damals gedacht: Was haben die denn? Eben bin ich nach Italien gefahren und zurück und hab die ganze Zeit nur eine Währung gebraucht, und die heißt Mastercard.«
»Wenn wir beim Euro mitmachen würden, dann wäre das Pfund weniger wert.«
»Moment mal, wenn wir beim Euro –«
»War nur ein Witz.«
»Eure Pässe haben dieselbe Farbe. Warum macht ihr nicht Nägel mit Köpfen und sagt, ihr seid alle Europäer?«
»Weil wir dann keine Witze mehr über Ausländer machen könnten.«
»Was eine ehrwürdige britische Tradition ist.«
»Hör mal: Egal in welche europäische Stadt du gehst, die Läden sind überall praktisch die gleichen. Manchmal fragst du dich, wo du überhaupt bist. Binneneuropäische Grenzen gibt es kaum noch. Plastik ersetzt Bargeld, das Internet ersetzt alles andere. Und mehr und mehr Leute sprechen Englisch, was alles noch einfacher macht. Warum also nicht zugeben, was Sache ist?«
»Weil auch das etwas Britisches ist, an dem wir hängen: Nicht zugeben können, was Sache ist.«
»Verlogenheit, beispielsweise.«
»Fangbloß nicht wieder damit an. Dieses Steckenpferd hast du letztes Mal echt zu Tode geritten.«
»Echt?«
»Ein Steckenpferd zu Tode zu reiten, bedeutet, einer toten Metapher die Sporen zu geben.«
»Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer Metapher und einem Vergleich?«
»Orangenmarmelade.«
»Wer von euch beiden fährt?«
»Hast du deine schon gemacht?«
»Ach, weißt du, ich sehe die Bitterorangen immer, wenn sie frisch auf dem Markt sind, und dann schaff ich es nie, rechtzeitig welche zu kaufen.«
»Eine der letzten Früchte, die immer noch saisonabhängig sind. Ich wünschte mir, die Welt würde wieder nach dem Saisonprinzip funktionieren.«
»Bloß nicht. Dann hättest du den ganzen Winter über nichts als Steck- und Kohlrüben.«
»Als ich ein kleiner Junge war, hatten wir in der Küche so einen großen Geschirrschrank mit tiefen Schubladen unten drin, und einmal im Jahr waren die plötzlich voll Orangenmarmelade. Das war wie ein Wunder. Nie habe ich meine Mutter sie kochen sehen. Ich kam aus der Schule, und da war dieser Geruch, und dann ging ich zum Geschirrschrank, und dann war der voller Töpfe. Alle sauber etikettiert. Immer noch warm. Und die mussten dann ein Jahr lang reichen.«
»Mein lieber Phil, gleich rauschen die Geigen auf und muss ich eine Träne zerdrücken. Das war wohl in jenen Zeiten, als du dir Zeitungspapier in die löchrigen Schuhe stopfen musstest, bevor du den beschwerlichen Weg zur Fabrik unter die Füße nahmst.«
»Verpiss dich, Dick.«
»Claudesagt, Bitterorangen gibt es nur noch diese Woche.«
»Ich hab’s gewusst. Ich habe sie wieder verpasst.«
»Bitterorangen werden auch Pomeranzen genannt und kommen als solche bei Mörike vor. Wo genau, weiß ich allerdings nicht mehr.«
»Man kann sie auch einfrieren, weißt du.«
»Du solltest unsere Tiefkühltruhe sehen. Ich will nicht, dass die zu einem noch übleren Hort der Schuldgefühle wird.«
»›Hort der Schuldgefühle‹. Klingt wie der Titel einer Schmähschrift gegen die Ehe. Von Strindberg oder Wedekind.«
»Was für ein Kind?«
»Wer ist Claude?«
»Unser Gemüsehändler. Ein Franzose.
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