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Unbefugtes Betreten

Unbefugtes Betreten

Titel: Unbefugtes Betreten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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Marihuana-Geruch, der berühmte Schriftsteller zu Gast, ihre eigene plötzliche Dreistigkeit. »Ich habe, wie du es nennst, auf seinem Knie gesessen. Und er hat mir zugezwinkert. Ende der Geschichte.«
    »Aber du hast mir doch erzählt ...«
    »Nein, hab ich nicht.«
    »Aber du hast mir doch zu verstehen gegeben ...«
    »Nun ja, jeder hat seinen Stolz.«
    »Sollheißen?«
    »Soll heißen, er hat gesagt, er müsse am nächsten Morgen früh los. Paris, Kopenhagen, was weiß ich. Lesereise. Du weißt schon.«
    »Wie andere Kopfschmerzen vorschützen.«
    »Genau.«
    »Tja«, sagte Jane und versuchte, eine jähe Anwandlung von Fröhlichkeit zu unterdrücken, »für Schriftsteller ist es ergiebiger, wenn etwas schiefgeht, als wenn alles glatt läuft, das hab ich schon immer gedacht. Es ist der einzige Beruf, in dem man aus einem Misserfolg etwas machen kann.«
    »Ich glaube kaum, dass ›Misserfolg‹ das treffende Wort für meine Begegnung mit John Updike ist.«
    »Natürlich nicht, meine Liebe.«
    »Und das hört sich, mit Verlaub, ein bisschen an wie aus einem Ratgeberbuch.« Oder wie du in der Stunde für die Frau , wo du anderen munter erzählst, wie sie leben sollen.
    »Ach ja?«
    »Tatsache ist, selbst wenn man aus einem persönlichen Fehlschlag Kunst machen kann , ändert das nichts an den Tatsachen.«
    »Und die wären?«
    »Die wären, dass man nicht mit John Updike geschlafen hat.«
    »Also, falls dir das ein Trost ist, ich bin eifersüchtig darauf, dass er dir zugezwinkert hat.«
    »Du bist eine echte Freundin«, antwortete Alice, aber ihr Tonfall verriet ihre wahren Gefühle.
    Sie schwiegen. Ein großer Bahnhof rauschte vorbei.
    »War das Swindon?«, fragte Jane, damit es so aussah, als würden sie nicht streiten.
    »Wahrscheinlich.«
    »Meinst du, wir haben viele Leser in Swindon?« Ach, Alice, reg dich wieder ab. Besser gesagt, regen wir uns beide ab.
    »Was meinst du?«
    Jane wusste nicht, was sie meinen sollte. Sie war fast von Panik ergriffen. Sie suchte nach einer unerwarteten Information. »Swindon ist die größte Stadt in England ohne Universität.«
    »Woher weißt du das?«, fragte Alice und versuchte, neidisch zu erscheinen.
    »Ach, so etwas weiß ich eben. Vermutlich habe ich es aus Moby Dick .«
    Sie lachten zufrieden und einvernehmlich. Dann trat Schweigen ein. Nach einiger Zeit fuhren sie durch Reading, und jede rechnete es der anderen hoch an, dass sie nicht auf das Gefängnis hinwies oder sich über Oscar Wilde verbreitete. Jane ging auf die Toilette, oder vielleicht wollte sie die Minibar in ihrer Handtasche konsultieren. Alice ertappte sich bei der Überlegung, ob man das Leben lieber ernst oder leicht nehmen sollte. Oder war das ein falscher Gegensatz, nur eine andere Art von Hochmut? Wie ihr schien, nahm Jane das Leben leicht, bis es dann schiefging und sie nach ernsten Lösungen wie Gott suchte. Da nahm man das Leben lieber ernst und suchte nach leichten Lösungen. Spott, zum Beispiel; oder Selbstmord. Warum klammerten sich die Leute so an das Leben, dieses Geschenk, um das sie nicht gebeten hatten? In Alices Weltverständnis war jedes Leben ein Fehlschlag und Janes Gemeinplatz, man könne aus Fehlschlägen Kunst machen, nichts als ein wolkiges Hirngespinst. Jeder, der ein bisschen Ahnung von Kunst hatte, wusste, dass Kunst nie das bewirkte, was ihr Urheber sich erträumthatte. Die Kunst musste immer versagen, und somit war der Künstler, statt etwas vor der Katastrophe des Lebens zu retten, zu zweifachem Scheitern verdammt.
    Als Jane zurückkam, faltete Alice eifrig die Teile der Zeitung zusammen, die sie aufheben und bei ihrem sonntagabendlichen gekochten Ei lesen wollte. Seltsam, dass Eitelkeit mit zunehmendem Lebensalter kein Laster mehr wurde, sondern fast das Gegenteil: eine moralische Verpflichtung. Ihre Mütter hätten jetzt einen Hüftgürtel oder ein Korsett getragen, doch ihre Mütter waren längst gestorben und ihre Hüftgürtel und Korsetts mit ihnen. Jane hatte immer Übergewicht gehabt – das war eine der ständigen Klagen von Derek gewesen; und seine Angewohnheit, seine Exfrau zu kritisieren, bevor oder kurz nachdem er mit Alice ins Bett gegangen war, war ein Grund mehr gewesen, mit ihm Schluss zu machen. Das war keine Frauensolidarität, sondern eher eine Abneigung gegen Männer, denen es an Klasse fehlte. Jane hatte dann noch mehr zugenommen, was bei ihrem Alkoholkonsum und ihrer Vorliebe für Zuckerschnecken und dergleichen zum Nachmittagstee kein Wunder war.

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