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Unbefugtes Betreten

Unbefugtes Betreten

Titel: Unbefugtes Betreten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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Klematis an einer nach Norden gelegenen Mauer besser gedeiht?«
    Ja, dachte er, ich könnte dich sehr wohl verlassen. Doch bis dahin reg ich mich nicht auf, ich wechsle einfach das Thema.
    »Wir kriegen einen strengen Winter. Die Wetten stehen nur 6 zu 4 gegen weiße Weihnachten.«
    »Dann müssen wir so eine Plastikplane besorgen und alle empfindlichen Pflanzen abdecken. Vielleicht auch noch Stroh.«
    »Ich werd mal im nächsten Stall vorbeischauen.« Plötzlich war er nicht mehr sauer. Wenn ihr der Garten mehr Freude bereitete, konnte sie ihn haben.
    »Hoffentlich kriegen wir ganz viel Schnee«, sagte er wie ein kleiner Junge.
    »Wollen wir das?«
    »Jawohl. Richtige Gärtner beten um einen strengen Winter. Macht allem Ungeziefer den Garaus.«
    Sie nickte; das gestand sie ihm zu. Sie beide sahen diesen Garten mit verschiedenen Augen. Ken war auf dem Land aufgewachsen und konnte es in jungen Jahren kaum erwarten, nach London zu kommen, auf die Universität, in den Beruf, ins Leben. Für ihn war die Natur entweder feindselig oder öde. Er erinnerte sich, dass er im Garten ein Buch lesen wollte und die Verbindung von wechselndem Sonneneinfall, Wind, Bienen, Ameisen, Fliegen, Marienkäfern, Vogelgezwitscher und seiner hin- und herrennenden Mutter das Lernen im Freien zum Albtraum machte. Er erinnerte sich, mit welchen Bestechungen er dazugebracht wurde, widerwillig Schwerarbeit zu leisten. Er erinnerte sich an die horrenden Erträge der Gemüsebeete und Obstbaumkäfige seines Vaters. Seine Mutter packte die Fülle an Bohnen und Erbsen, Erdbeeren und Johannisbeeren immer brav in die Kühltruhe und warf dann jedes Jahr, wenn sein Vater nicht da war, schuldbewusst alle Beutel weg, die mehr als zwei Jahre alt waren. Ihre Küchenversion einer Fruchtwechselwirtschaft, könnte man sagen.
    Martha war ein Stadtkind, das die Natur für grundsätzlich gut hielt, über das Wunder des Keimens staunte und ihn ständig zu Spaziergängen auf dem Land animieren wollte. In den letzten Monaten hatte sie den fanatischen Eifer aller Autodidakten entwickelt. Ken hielt sich für einen instinktgeleiteten Amateur, Martha hingegen für eine Technokratin.
    »Schon wieder am Lesen?«, fragte er sanft, als er ins Bett ging. Sie las ein Buch über Kletterpflanzen.
    »Das kann nie schaden, Ken.«
    »Wie ich aus leidvoller Erfahrung weiß«, antwortete er und knipste seine Nachttischlampe aus.
    Das war kein Streit, jetzt nicht mehr, das war nur eine anerkannte Wesensverschiedenheit. Für Martha war es zum Beispiel nur vernünftig, sich beim Kochen an Rezepte zu halten. »Kannst wohl kein Ei kochen, ohne ein Kochbuch aufzuschlagen?«, hatte er einmal etwas plump bemerkt. Er dagegen warf lieber nur einen kurzen Blick auf ein Rezept, um sich Anregungen zu holen, und improvisierte dann. Sie konsultierte gern Reiseführer und benutzte selbst in London einen Stadtplan; ihm waren ein innerer Kompass, Glückstreffer und das Vergnügen an kreativen Irrwegen lieber. Das führte gelegentlich zu Auseinandersetzungen im Auto.
    Siehatte ihn auch darauf hingewiesen, dass es beim Sex umgekehrt war. Er hatte sich zu ausgiebigem Bücherstudium im Vorfeld bekannt, während sie, wie sie es einmal formulierte, im laufenden Geschäft gelernt hatte. Er hatte erwidert, das solle er hoffentlich nicht wörtlich nehmen. Nicht, dass an ihrem Liebesleben irgendwas auszusetzen wäre – jedenfalls seiner Meinung nach. Vielleicht hatten sie das, was jede Partnerschaft braucht: einen Bücherwurm und ein Naturtalent.
    Während er darüber nachsann, spürte er, dass sich bei ihm unversehens eine, wie ihm schien, kolossale Erektion eingestellt hatte. Er drehte sich zu Martha um und legte ihr die linke Hand auf die Hüfte, was je nach Laune als Signal interpretiert werden konnte oder auch nicht.
    Martha merkte, dass er noch wach war, und murmelte: »Ich hatte an einen trachelospermum jasminoides gedacht, aber wahrscheinlich ist der Boden zu sauer.«
    »Schon recht«, murmelte er zurück.
    Mitte Dezember schneite es, erst ein täuschend leichter Flaum, der sich auf dem Straßenpflaster sofort in Wasser verwandelte, dann mehrere kompakte Zentimeter. Als Ken von der Arbeit nach Hause kam, lag eine dicke weiße Schicht auf den flachen Blättern des Lorbeerbaums, ein unpassendes Bild. Am nächsten Morgen ging er mit der Kamera vor die Tür.
    »Diese Schweine !«, rief er ins Haus zurück. Martha kam im Morgenrock herunter. »Guck mal, diese Schweine«, wiederholte er.
    Draußen stand nur

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