Unbefugtes Betreten
Holunderbeerbaum an einem Nordhang anpflanzen sollte. Bedrohlich fand er Marthas neu erwachtes Interesse nicht, er fand es nur übertrieben.
Der pH-Wert war, wie er erfuhr, eine Maßzahl für den sauren oder basischen Charakter einer Lösung, definiert als der negative dekadische Logarithmus der Wasserstoffionenkonzentration, hier aber durch eine Formel auf eine Standardlösung von Kaliumhydrogenphthalat bezogen, die bei 15 Grad Celsius den Wert 4 hatte. Ach, scheiß drauf, dachte Ken. Man kann sich doch einfach einen Beutel Knochenmehl und einen Sack Kompost besorgen und das Zeug untergraben. Aber Ken wusste wohl, dass er eine gewisse Eigenart hatte, eine Neigung, sich mit dem Ungefähren zufriedenzugeben, sodass eine Freundin ihn einmal im Zorn ein »unsägliches stinkfaules Aas« genannt hatte – eine Bezeichnung, die ihn noch immer entzückte.
Also las er den größten Teil der Gebrauchsanleitung, die seinem Bodenanalyse-Set beilag, wählte verschiedene wichtige Stellen im Garten aus und zog stolz seine neuen Handschuhe an, dann grub er kleine Proben aus der Erde und bröselte sie in die Reagenzgläser. Während er tropfenweise Flüssigkeiten zusetzte, die Korken hineinschob und denInhalt schüttelte, warf er hin und wieder einen Blick zum Küchenfenster in der Hoffnung, Martha würde sein professionelles Vorgehen liebevoll belächeln. Oder doch sein Bemühen um ein professionelles Vorgehen. Bei jedem Experiment wartete er die vorgeschriebene Anzahl Minuten ab, zog ein kleines Notizbuch hervor und hielt seine Befunde fest, ehe er zur nächsten Stelle weiterging. Ein-, zweimal wiederholte er den Test, wenn das erste Ergebnis zweifelhaft oder unklar gewesen war.
Am Abend war für Martha deutlich zu erkennen, dass er heiterer Laune war. Er rührte im Kaninchenfrikassee herum, beschloss, es noch weitere zwanzig Minuten köcheln zu lassen, schenkte jedem ein Glas Weißwein ein und setzte sich auf Marthas Stuhllehne. Er blickte nachsichtig auf einen Artikel über verschiedene Kiessorten hinab, spielte mit den Haaren in Marthas Nacken und sagte fröhlich lächelnd:
»Ich hab leider schlechte Nachrichten.«
Sie schaute auf und wusste nicht recht, wo dieser Satz auf einer Skala von sanfter Stichelei bis offenem Widerstand einzuordnen war.
»Ich habe den Boden analysiert. An manchen Stellen musste ich es mehrfach tun, bevor ich mir meiner Befunde sicher war. Doch jetzt kann der Gutachter Bericht erstatten.«
»Ja?«
»Nach meiner Analyse, gnädige Frau, ist in Ihrer Erde keine Erde.«
»Ich verstehe nicht.«
»Es lassen sich keine Unzulänglichkeiten im terroir ausmachen, weil in Ihrer Erde keine Erde ist.«
»Das sagtest du bereits. Und was ist da stattdessen?«
»Tja, vor allem Steine. Staub, Wurzeln, Lehm, Giersch, Hundescheiße,Katzenkacke, Vogeldreck und Ähnliches mehr.«
Er fand es gut, wie er »in Ihrer Erde« gesagt hatte.
An einem Samstagmorgen drei Monate später, als die Dezembersonne so tief stand, dass der Garten über jedes bisschen Wärme und Licht froh sein konnte, kam Ken ins Haus und warf seine Gartenhandschuhe hin.
»Was hast du mit dem Brombeerstrauch angestellt?«
»Welchem Brombeerstrauch?«
Das machte ihn noch wütender. So groß war ihr Garten ja nun nicht.
»Dem an der hinteren Gartenmauer.«
»Ach, dieses Dornengestrüpp.«
»Dieses Dornengestrüpp war ein Brombeerstrauch mit Brombeeren dran. Ich hab dir zwei gebracht und persönlich in den Mund gesteckt.«
»An dieser Mauer will ich was anpflanzen. Einen Knöterich vielleicht, aber das wäre mir nicht mutig genug. Ich dachte an eine Klematis.«
»Du hast meinen Brombeerstrauch ausgerissen.«
» Deinen Brombeerstrauch?« Sie war immer besonders abweisend, wenn sie wusste – und wusste, dass er wusste –, dass sie eine Eigenmächtigkeit begangen hatte. Die Ehe war eine Zwei-Personen-Demokratie, außer bei Stimmengleichheit, da verkam sie zur Autokratie. »Das war ein dämliches Dornengestrüpp.«
»Ich hatte damit etwas vor. Ich wollte seinen pH-Wert verbessern. Dann zurückschneiden und dergleichen mehr. Und überhaupt, du hast gewusst, dass es ein Brombeerstrauch ist. Brombeeren«, fügte er gebieterisch hinzu, »wachsen auf Brombeersträuchern.«
»Na schön, es waren schwarze Beeren dran.«
»SchwarzeBeeren!« Das wurde allmählich lächerlich. »Aus diesen schwarzen Beeren macht man Brombeergelee, weil das nämlich Brombeeren sind.«
»Kannst du wohl herausfinden, was wir dem Boden zusetzen müssen, damit eine
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