Unbefugtes Betreten
Weltkrieg war) für mehrere Jahre ins Armenhaus gab. Als junger Mann lernte er später die Tochter eines englischen Textilmagnaten kennen, die ihm vor dem Zweiten Weltkrieg zur Ausreise aus Österreich verhalf. In England arbeitete er im Familienunternehmen und verlobte sich mit der Tochter. Dann lernte er T kennen; die näheren Umstände wollte T, etwas verschämt, nicht näher erläutern, doch die Begegnung veränderte schlagartig sein ganzes Leben. »Das alles war«, erzählte T mir nach Hs Tod, »natürlich vollkommen neu für mich – ich war überhaupt noch nie mit jemandem ins Bett gegangen.«
Und was ist, könnte man fragen, mit der verlassenen Verlobten von H? Aber dies ist eine glückliche Geschichte: T erzählte mir, sie habe »einen sehr feinen Instinkt« dafür gehabt, was hier vor sich ging; sie habe sich zur rechten Zeit in einen anderen verliebt; und alle vier seien gute und lebenslange Freunde geworden. H machte als Modedesigner bei einer großen Bekleidungskette Karriere, und dieser Arbeitgeber erwies sich als so liberal, dass T, der jahrzehntelang mit seinem »österreichischen Freund« immer wieder gegen das Gesetz verstoßen hatte, bei Hs Tod in den Genuss einer Hinterbliebenenrente kam. Als er mir, nicht lange vor seinem eigenen Tod, das alles erzählte, fiel mir zweierlei auf. Erstens, wie leidenschaftslos er seine eigene Geschichte erzählte; starke Gefühle weckten bei ihm allein die Schicksalsschläge und Ungerechtigkeiten in Hs Leben,bevor sie sich kennengelernt hatten. Und zweitens eine Formulierung, die er bei der Schilderung des Eintritts von H in sein Leben gebrauchte. T sagte, er sei sehr verwirrt gewesen – »Aber eins wusste ich genau: Ich wollte H unbedingt heiraten«.
Das andere Paar, D und D, kam aus Südafrika. D1 war konventionell, schüchtern, hochgebildet; D2 pompöser, offensichtlicher schwul und liebte Neckereien und Anzüglichkeiten. Sie wohnten in Kapstadt, besaßen ein Haus auf Santorin und reisten viel. Sie hatten ihr Zusammenleben bis ins kleinste Detail durchgeplant: Ich erinnere mich, wie sie mir in Paris erzählten, in Europa würden sie als Erstes immer einen großen Panettone für ihr Frühstück im Hotelzimmer kaufen. (Ich dachte schon immer, die erste Aufgabe für ein Paar sei die Lösung des Frühstücksproblems; wenn das einvernehmlich geklärt werden könne, ließen sich auch die meisten anderen Schwierigkeiten einvernehmlich klären.) Einmal kam D2 allein nach London. Spätabends, als wir nach einigen Gläsern über die französische Provinz sprachen, gestand er mir plötzlich: »Das beste Ficki-Ficki meines Lebens hatte ich in Carcassonne.« So einen Spruch vergisst man nicht leicht, zumal er mir schilderte, dass ein Gewitter aufgezogen war und in dem Augenblick, den die Franzosen le moment suprême nennen, ein gewaltiger Donnerschlag ertönte – ein wahrer coup de foudre . Er sagte nicht, dass er damals mit D1 zusammen gewesen war, und weil er das nicht tat, nahm ich an, dass er es nicht gewesen war. Nach seinem Tod verwendete ich seinen Spruch in einem Roman, wenn auch mit einem gewissen Zögern hinsichtlich der meteorologischen Begleitumstände, was das geläufige literarische Problem des vrai gegenüber dem vraisemblable aufwarf. Was uns im Leben erstaunt, ist in der Literatur oft ein Klischee. Einige Jahre spätertelefonierte ich mit D1, und er kam auf diesen Satz zu sprechen und wollte wissen, woher ich den habe. Voller Sorge um einen möglichen Verrat gestand ich, dass meine Quelle D2 gewesen war. »Ach«, sagte D1 mit plötzlicher Wärme, »das war eine wunderbare Zeit in Carcassonne«. Ich war erleichtert; außerdem verspürte ich so etwas wie stellvertretende Nostalgie, weil sie zusammen gewesen waren.
Für manche fängt das Teleskop dort draußen in der Lagune das Sonnenlicht ein, für andere nicht. Wir wählen, wir werden gewählt, wir bleiben ungewählt. Ich sagte zu meiner Freundin, die sich immer die Spinner aussucht, vielleicht sollte sie nach einem netten Spinner Ausschau halten. Sie antwortete: »Aber wie erkenne ich den?« Wie die meisten Menschen glaubte sie, was ihr Partner ihr erzählte, bis sie einen berechtigten Grund hatte, ihm nicht zu glauben. Sie war jahrelang mit einem Spinner zusammen, der immer pünktlich ins Büro ging; erst gegen Ende der Beziehung fand sie heraus, dass er jeden Tag als Erstes einen Termin bei seinem Psychiater hatte. Ich sagte: »Du hast einfach Pech gehabt.« Sie sagte: »Ich will nicht, dass das Pech
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