Unbefugtes Betreten
war. Wenn es Pech ist, kann ich nichts dagegen tun.« Man sagt ja, letzten Endes bekomme man immer, was man verdient habe, aber dieser Spruch gilt auch anders herum. Man sagt, in den modernen Städten gebe es zu viele umwerfende Frauen und zu viele entsetzliche Männer. Die Stadt Carcassonne macht einen soliden und beständigen Eindruck, aber was wir dort bewundern, sind meist Rekonstruktionen aus dem neunzehnten Jahrhundert. Vergessen wir die Spekulation, ob etwas »von Dauer sein wird« und ob Dauerhaftigkeit überhaupt eine Tugend, Belohnung, Anpassung oder wieder nur Glück ist. In welchemMaß handeln wir selbst, und in welchem Maß sind wir ein passives Objekt in jenem Moment leidenschaftlich bewegten Geschmacks?
Wir sollten auch nicht vergessen, dass Garibaldi noch eine zweite Frau hatte (und eine dritte – aber die können wir vernachlässigen). Auf seine zehnjährige Ehe mit Anita Riberas folgte eine zehnjährige Witwerschaft. Im Sommer 1859 kämpfte er dann während seines Alpenfeldzugs bei Varese, als ihn durch die österreichischen Linien eine Botschaft erreichte; die Überbringerin war ein siebzehnjähriges Mädchen, das allein in einem offenen Einspänner fuhr. Das war Giuseppina Raimondi, die uneheliche Tochter des Grafen Raimondi. Garibaldi verliebte sich auf der Stelle in sie, schrieb ihr einen leidenschaftlichen Brief, erklärte ihr auf Knien seine Liebe. Er gestand die Schwierigkeiten, die sich jeder Verbindung zwischen ihnen in den Weg stellten: Er war fast dreimal so alt wie sie, hatte schon ein weiteres Kind von einer Bäuerin und fürchtete, Giuseppinas aristokratische Abstammung könne seinem politischen Image abträglich sein. Doch er konnte sich selbst (und sie) so weit überzeugen, dass sie am dritten Dezember 1859 nach den Worten eines anderen und jüngeren Historikers als Trevelyan »ihre Bedenken beiseiteschob und in sein Zimmer trat. Die Tat war vollbracht!« Wie Anita war sie ersichtlich kühn und tapfer; am 24. Januar 1860 wurden sie getraut – diesmal nach allen Regeln der katholischen Kirche.
Tennyson traf vier Jahre später auf der Isle of Wight mit Garibaldi zusammen. Der Dichter brachte dem Freiheitskämpfer große Bewunderung entgegen, bemerkte aber auch, dass er »die göttliche Dummheit eines Helden« besaß. Diese zweite Ehe – besser gesagt, Garibaldis Illusionen darüber – hatte (je nachdem, welcher Quelle man Glaubenschenkt) entweder ein paar Stunden oder ein paar Tage Bestand, bis zu dem Moment, als der frischgebackene Ehemann einen Brief mit ausführlichen Details aus dem früheren Leben seiner neuen Ehefrau erhielt. Wie sich herausstellte, hatte sich Giuseppina seit ihrem elften Lebensjahr Liebhaber genommen; sie hatte Garibaldi nur auf Drängen ihres Vaters geheiratet; sie hatte die Nacht vor der Hochzeit mit ihrem letzten Liebhaber verbracht, von dem sie schwanger war; und sie hatte das sexuelle Geschehen mit ihrem künftigen Ehemann vorangetrieben, damit sie ihm am ersten Januar schreiben und behaupten konnte, sie trage sein Kind unter dem Herzen.
Garibaldi verlangte nicht nur die sofortige Trennung, sondern eine Annullierung. Der romantische Held begründete das mit dem zutiefst unromantischen Argument, da er nur vor der Hochzeit und nicht danach mit Giuseppina geschlafen habe, sei die Ehe formal nicht vollzogen worden. Diese Sophisterei konnte das Gericht nicht überzeugen, und auch Garibaldis Appell an höhere Stellen bis hin zum König zeigte keinen Erfolg. Der Freiheitskämpfer blieb für die nächsten zwanzig Jahre an Giuseppina gekettet.
Letzten Endes kann überhaupt nur ein Jurist Recht und Gesetz überlisten; statt des romantischen Teleskops regiert das juristische Mikroskop. Als das befreiende Argument schließlich gefunden wurde, lautete es so: Da Garibaldis Trauung auf einem formal unter österreichischer Herrschaft stehendem Gebiet vollzogen wurde, könne man die Auffassung vertreten, dass dies nach österreichischem bürgerlichen Recht geschehen sei, und nach diesem Recht sei eine Annullierung möglich (und vielleicht immer möglich gewesen). So wurde der Held und Liebhaber von eben der Nation gerettet, gegen deren Herrschaft er seinerzeitgekämpft hatte. Der bedeutende Jurist, der auf diese geniale Lösung kam, hatte im Jahre 1860 die rechtlichen Grundlagen der Einigung Italiens ausgearbeitet; jetzt hatte er erwirkt, dass der eheliche Bund des Einigers der Nation zerschlagen wurde. Ein Hoch auf Pasquale Stanislao Mancini.
Pulse
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Vor etwa
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