Unbefugtes Betreten
hin und bekam ein Rezept für ein Nasenspray. Morgens und abends je zwei Spritzer in jedes Nasenloch. Am Ende der Behandlung war alles unverändert. Der Arzt wollte ihn an einen Spezialisten überweisen; Dad wollte natürlich keinen bemühen.
»Eigentlich ist das ganz interessant.«
»Ach ja?« Ich war bei meinen Eltern zu Besuch und roch den Vormittags-Nescafé. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es »interessant« sein sollte, wenn mit dem Körper etwasnicht stimmt. Schmerzhaft, ärgerlich, beängstigend, zeitraubend, aber nicht »interessant«. Darum achtete ich so gut auf meinen eigenen Körper.
»Man denkt immer an das Naheliegende – Rosen, Bratensoße, Bier. Ich hab mir aber nie viel daraus gemacht, an Rosen zu riechen.«
»Aber wenn man nichts riecht, kann man doch auch nichts schmecken?«
»So heißt es – dass der Geschmack in Wirklichkeit nur Geruch ist. Aber in meinem Fall trifft das offenbar nicht zu. Ich kann Essen und Wein genauso schmecken wie vorher.« Er dachte kurz nach. »Nein, das stimmt nicht ganz. Manche Weißweine kommen mir säurehaltiger vor als früher. Keine Ahnung, warum.«
»Ist es das, was so interessant ist?«
»Nein. Es ist genau umgekehrt. Es geht nicht darum, was man vermisst, sondern was man nicht vermisst. Zum Beispiel ist es wohltuend, den Verkehr nicht zu riechen. Man geht am Marktplatz an einem Bus vorbei, der da mit laufendem Motor rumsteht und Öldämpfe ausspuckt. Früher hätte man die Luft angehalten.«
»Das würde ich auch weiterhin tun, Dad.« Giftige Dämpfe einatmen, ohne es auch nur zu merken? Es hatte schließlich einen Sinn, dass man eine Nase hatte.
»Man nimmt keinen Zigarettengeruch wahr, das ist wieder ein Vorteil. Oder den Geruch davon an jemandem – das war mir immer zuwider. Körpergeruch, Imbisswagen, die Kotze auf dem Bürgersteig von Samstagnacht ...«
»Hundescheiße«, warf ich ein.
»Komisch, dass du davon sprichst. Das hat mir immer den Magen umgedreht. Aber neulich bin ich in einen Haufen getreten, und ich hatte überhaupt kein Problem damit, das abzuputzen. Früher hätte ich den Schuh vor die Hintertürgestellt und ein paar Tage draußen gelassen. Ach ja, und ich schneide jetzt die Zwiebeln für Mum. Macht mir gar nichts aus. Keine Tränen, nichts. Das ist ein Vorteil.«
»Das ist wirklich interessant«, sagte ich halb im Ernst. Eigentlich fand ich es typisch, dass mein Vater fast allem etwas Positives abgewinnen konnte. Er hätte gesagt, als Jurist sei er es gewöhnt, jede Angelegenheit von allen Seiten zu betrachten. Für mich war er ein unverbesserlicher Optimist.
»Aber andererseits ... Zum Beispiel morgens vor die Tür zu treten und die Luft zu schnuppern. Jetzt merke ich nur, ob es warm oder kühl ist. Und Möbelpolitur, die vermisse ich. Schuhcreme auch. Darüber hatte ich noch nie nachgedacht. Schuhe putzen, ohne etwas riechen zu können – stell dir das mal vor.«
Das brauchte ich nicht und wollte es auch nicht. Da wird jemand total elegisch wegen einer Dose Schuhcreme – hoffentlich würde ich nicht mal so enden.
»Und dann natürlich deine Mum.«
Ja, meine Mum.
Meine Eltern trugen beide eine Brille, und manchmal stellte ich mir vor, wie sie im Bett saßen und lasen, und dann legten sie ihr Buch oder ihre Zeitschrift weg und knipsten die Nachttischlampe aus. Wann sagten sie sich gute Nacht? Bevor sie die Brille abnahmen oder danach? Bevor sie das Licht ausknipsten oder danach? Aber jetzt dachte ich plötzlich: Soll Geruch nicht ein wesentlicher Faktor bei der sexuellen Erregung sein? Pheromone, diese Primitivlinge, die uns genau dann herumkommandieren, wenn wir glauben, jetzt wären wir der Herr und Meister. Mein Vater beklagte sich, er könne meine Mutter nicht riechen. Vielleicht meinte er – von Anfang an – mehr damit.
Jakesagte immer, ich hätte eine Nase dafür, mir Ärger einzuhandeln. Mit Frauen, meinte er. Darum sei ich mit dreißig noch unverheiratet. Du doch auch, erwiderte ich. Ja, aber mir gefällt das so, sagte er. Jake ist ein großer Kerl mit langen Beinen und lockigem Haar, der bei Frauen als sanft und ungefährlich ankommt. Als würde er sagen, Guck mal, hier bin ich, mit mir kannst du Spaß haben, ich bin nichts für die Dauer, aber wahrscheinlich hast du dein Vergnügen an mir, und hinterher können wir immer noch Freunde sein. Ich hab keine Ahnung, wie genau er das schafft, so eine komplizierte Botschaft mit nicht viel mehr als einem Grinsen und einer hochgezogenen Augenbraue
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