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Unbefugtes Betreten

Unbefugtes Betreten

Titel: Unbefugtes Betreten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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ständigen Ermahnens. Am Ende rief einfach einer an und machte einen Termin für den anderen aus.
    Diesmal rief mein Vater selbst an. Ich fragte ihn, was ihn dazu gebracht habe. Er zögerte. »Nun ja, wenn du es wissen willst, mein Sohn, es war, als ich merkte, dass ich deine Mum nicht riechen konnte.«
    »Du meinst, ihr Parfüm?«
    »Nein, nicht ihr Parfüm. Ihre Haut. Ihre ... Person.«
    Sein Blick war zärtlich und abwesend, als er das sagte. Ich fand das überhaupt nicht peinlich. Er genierte sich einfach nicht für seine Gefühle zu seiner Frau. Manche Eltern stellen ihre ehelichen Gefühle vor ihren Kindern zur Schau: Guck uns an, sieh nur, wie jung und fesch wir noch sind, sind wir nicht ein Paar wie aus dem Bilderbuch? Meine Eltern waren da ganz anders. Und ich beneidete sie umso mehr, weil sie es nicht nötig hatten, sich so aufzuspielen.
    Wenn wir in der Gruppe joggen, gibt der Leiter, Jake, das Tempo vor und sorgt auch dafür, dass niemand zu weit zurückbleibt.Ganz vorne läuft die harte Truppe; die haben immer den Kopf unten, checken ihre Uhren und Pulsmesser, und wenn sie überhaupt reden, dann über Flüssigkeitsverlust und wie viele Kalorien sie schon verbrannt haben. Hinten kommen die, die nicht fit genug sind, um gleichzeitig zu laufen und zu reden. Und dazwischen ist der Rest, für den das Geplauder ebenso wichtig ist wie die sportliche Betätigung. Es gibt aber eine Regel: Niemand darf einen anderen monopolisieren, nicht mal, wenn die beiden ein Paar sind. Darum richtete ich es an einem Freitagabend so ein, dass ich mit Janice Schritt hielt, unserem jüngsten Neuzugang. Ihr Jogginganzug stammte erkennbar nicht aus dem Laden hier, in dem wir anderen einkaufen; er war weiter geschnitten und seidiger und mit unnötigen Paspeln besetzt.
    »Was führt dich denn in unsere Stadt?«
    »Eigentlich bin ich schon zwei Jahre hier.«
    »Was hat dich denn in unsere Stadt geführt?«
    Sie lief ein paar Meter. »Mein Freund.« Ah, so. Dann noch ein paar Meter. »Exfreund.« Ah, schon besser – vielleicht joggt sie, um ihn zu vergessen. Aber ich wollte dem nicht auf den Grund gehen. Außerdem gibt es noch eine Regel in der Gruppe: nur leichte Unterhaltung beim Laufen. Keine britische Außenpolitik und auch nichts, was große Gefühle auslöst. Daher hören wir uns manchmal an wie ein Friseurverein, aber es ist eine nützliche Regel.
    »Nur noch ein paar Kilometer.«
    »Soll mir recht sein.«
    »Gehen wir hinterher was trinken?«
    Sie schaute mich von schräg unten an. »Soll mir recht sein«, wiederholte sie mit einem Lächeln.
    Wir kamen leicht ins Gespräch, vor allem, weil ich den Zuhörer spielte. Und meistens auch den Zuschauer. Sie warschlank, gepflegt, schwarzhaarig, hatte manikürte Hände und eine etwas schief stehende Nase, die ich sofort sexy fand. Sie bewegte sich viel, gestikulierte, zupfte an ihren Haaren, schaute weg, schaute wieder her; ich fand das erfrischend. Sie erzählte mir, sie arbeite in London als persönliche Assistentin der Ressortleiterin einer Frauenzeitschrift, von der ich gerade mal gehört hatte.
    »Kriegst du da viele Gratisproben?«
    Sie verstummte und sah mich an; ich kannte sie nicht gut genug, um zu entscheiden, ob sie wirklich entgeistert war oder nur so tat. »Nicht zu fassen, dass das die erste Frage ist, die du mir über meine Arbeit stellst.«
    Mir war die Frage ganz vernünftig vorgekommen. »Okay«, antwortete ich. »Tun wir so, als hätte ich dir schon vierzehn annehmbare Fragen über deine Arbeit gestellt. Frage Nummer 15: Kriegst du da viele Gratisproben?«
    Sie lachte. »Machst du immer alles in der falschen Reihenfolge?«
    »Nur, wenn ich damit jemanden zum Lachen bringen kann«, antwortete ich.
    Meine Eltern waren pummelig und eine gute Werbung für Pummeligkeit. Sie trieben wenig Sport, und wenn sie mittags viel gegessen hatten, legten sie sich hin und hielten einen Verdauungsschlaf. Mein Fitnessprogramm war für sie eine Marotte der Jugend: Es war das einzige Mal, dass sie sich benahmen, als wäre ich fünfzehn und nicht dreißig. In ihren Augen war ernsthaftes Training nur etwas für Leute wie Soldaten, Feuerwehrmänner und Polizisten. Einmal waren sie in London vor eines der Fitnessstudios geraten, die einen Blick darauf gewähren, was drinnen vor sich geht. Das soll verführerisch wirken, aber meine Eltern waren entsetzt.
    »Diesahen alle so ernsthaft aus«, sagte meine Mutter.
    »Und die meisten hatten Kopfhörer auf und hörten sich Musik an. Oder sie haben

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