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Unbekannt verzogen: Roman

Unbekannt verzogen: Roman

Titel: Unbekannt verzogen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Winter
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Eine Unterhaltung mit ihm gleicht weniger einem behutsamen Geben und Nehmen als vielmehr einem Frontalangriff mit Wörtern, von denen man wie von einer Maschinengewehrsalve niedergemäht wird.
    »Mach dir bloß kein schlechtes Gewissen, dass du blaugemacht hast«, sagt er. »Was bist du denn schon? Ein kleines Rädchen in einer großen Maschine. Einer Maschine, die sich noch nie einen Dreck um dich gekümmert hat. Und jetzt gehst duin Rente, jetzt zählst du gar nichts mehr. Du bist ein Nichts. Ach was, noch weniger als ein Nichts.«
    Albert darf nicht vergessen, dass Mickey es nur gut mit ihm meint. »Auch wenn du mich für verrückt hältst«, sagt er, »aber die Arbeit wird mir fehlen.«
    »Du glaubst doch nicht etwa, dass dich hier irgendwer vermisst? Keine Sau. Das ist ja gerade das Tragische. Die denken, du bist alt und nutzlos, und sind froh, wenn du weg bist. Du wirst ja jetzt schon nicht mehr gebraucht. Du musst den ganzen Tag so tun, als ob du dich irgendwie sinnvoll beschäftigst.«
    Obwohl Albert es besser weiß, kann er nicht anders, als ihm zu widersprechen. »Natürlich werde ich gebraucht.«
    »Blödsinn. Auf dem Scheißhaus hocken zählt nicht. Aber das ist denen ihre Schuld, Albert. Nicht deine. Deshalb sag ich ja, das sind alles Wichser, alle wie sie da sind. Und jetzt wollen sie den Laden auch noch privatisieren. Jede Wette, dann haben wir echt die Arschkarte gezogen.« Er blickt sich um, als ob er das Briefzentrum bereits in Trümmern vor sich liegen sieht. »Denk an meine Worte, Albert, du gehst genau zum richtigen Zeitpunkt. Ich gucke womöglich rentenmäßig total in die Röhre, wenn ich mal in den Sack haue.«
    »Meinst du wirklich?«
    »Kann dir doch scheißegal sein. Bis dahin bist du sowieso schon unter der Erde.«
    Plötzlich schiebt Darren sich mit einem Teflonlächeln zwischen sie. »Albert, ich hätte da eine besondere Aufgabe für dich.«
    »Wenn er will, dass du ihm einen bläst«, sagt Mickey laut, »vergiss die Zähne nicht.«
    Darren verschlägt es erst einmal die Sprache. Auf so was hat ihn sein ganzes Management-Training offenbar nicht vorbereitet.
    Aber dann ringt er sich doch noch ein zweites Lächeln ab. »Wenn du bitte mitkommen würdest, Albert.«
    Nachdem sie die Halle verlassen haben, wird es mit jedem Schritt leiser um sie, bis sie schließlich ein kleines Kämmerchen betreten, in dem sich staubige Postsäcke stapeln. Dicht unter der Decke sitzt ein kleines Fenster mit einer dreckigen vergitterten Scheibe, durch die lediglich der graue, nasse Himmel zu sehen hist.
    »Die unzustellbare Post«, sagt Albert. »Das ist doch alles nur Altpapier.«
    »Nein, Albert … wir befinden uns hier in einer Weiterleitungsstelle«, antwortet Darren ohne den leisesten Hauch von Ironie, obwohl das, was sich hier angesammelt hat, lediglich zur direkten Weiterleitung ins nächstbeste Feuerchen taugt. »Ich dachte mir, du könntest hier in deinen letzten zwei Wochen klar Schiff machen.«
    »Klar Schiff?«
    »Du siehst doch selbst, was hier für ein Chaos herrscht. Nehmen wir nur die Briefe an den Weihnachtsmann. Wir müssen endlich anfangen, einige davon aufzubewahren.« Augenzwinkernd fügt er hinzu: »Wir senden sie ihm an den Nordpol nach. Wenn der Weihnachtsmann alle Kinder in unserem Zustellbezirk wie Luft behandelt, sieht es sonst vielleicht etwas verdächtig aus.«
    »Würde den rotzfrechen Bälgern ganz recht geschehen.«
    »Wie dem auch sei. Es wird höchste Zeit, dass wir diesen Raum auf Vordermann bringen. Das könnte der krönende Abschluss deiner Karriere sein.«
    »Und wenn ich alles sortiert habe, wird es weggeschmissen?«
    » Vernichtet , Albert. Um das Briefgeheimnis zu wahren.« Er zögert. Offenbar ist ihm klar, dass die Frage damit noch nicht beantwortet ist. »Die Royal Mail hat einen Ruf zu verlieren, Albert. Das weißt du doch besser als jeder andere. Solange die Briefe bei uns im Haus sind, müssen sie … gemanagt werden.« Er wirft einen Blick auf seine Uhr. »Ich muss in eine Besprechung, bin schon spät dran. Du sagst Bescheid, wenn du irgendetwas brauchst, ja?«
    Damit ist er auch schon hinausgeeilt. Seine Schritte verhallen, und Albert bleibt in einer ihm nur allzu vertrauten Stille zurück.

15
    Freitagnachmittag hat Bob endlich seinen Facharzttermin; die Prognose, die er mit nach Hause bringt, ist düster. Das perfekte Timing, um ihnen das gesamte Wochenende zu ruinieren.
    »Sie wollen nächste Woche operieren«, sagt er.
    »Na, besser ein Ende mit Schrecken

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