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Unbekannt verzogen: Roman

Unbekannt verzogen: Roman

Titel: Unbekannt verzogen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Winter
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Stimme, leiser als zuvor, aber noch wütender.
    »Siehst du, was du angerichtet hast? Verfluchte Schlampe.«
    Stille.
    Albert glaubt kaum, dass Max es mit einer anderen Platte noch einmal probieren wird. Er kann nämlich Rückschläge nicht besonders gut verkraften. Wahrscheinlich glotzt er eher ein paar Stunden grimmig in sein Bier.
    Nachdem in seinem Heim wieder Ruhe und Frieden eingekehrt sind, bringt Albert gleich Gloria den Fisch zurück. Jetzt kann er ihr zufriedenes Schnurren richtig genießen.

36
    Der nächste Tag beginnt kalt und grau, genau das Wetter, bei dem die Londoner zu Prozac greifen oder vor die U-Bahn springen.
    »Und das ist erst der Anfang. So geht’s jetzt noch Monate weiter«, sagt Bob ernst, während er seinen Mantel anzieht und sich den Schal um den Hals wickelt. Dabei macht er eine hoffnungsfrohe Miene, als beruhige es ihn, dass das Wetter sich seinem Zustand anpasst. »Es soll ein langer, harter Winter werden.«
    Wenn Carol die Wörter »lang« und »hart« hintereinander hört, denkt sie sofort an Sex. Das war schon immer so. Zwar nicht an Sex mit Bob, auf den keines der Adjektive zutrifft, aber …
    Mit einem Küsschen auf die Wange reißt er sie aus ihren Tagträumen. »Bis später dann.«
    »Soll ich wirklich nicht mitkommen?«
    »Ach was, die schieben mich doch bloß in die Röhre und zapfen mir Blut ab. Wahrscheinlich dürftest du noch nicht mal dabei sein.«
    Nach so vielen Jahren an Bobs Seite versteht Carol sich inzwischen hervorragend darauf, aus seinen Worten herauszuhören, wann ein Nein eigentlich ja bedeutet. Diesmal meint er es aber offenbar so, wie er es sagt.
    »Du kannst mich ja anrufen, falls du es dir anders überlegst«, sagt sie. »Ich treffe mich mit Helen auf einen Kaffee, aber sonst habe ich nichts weiter vor.«
    Als Bob die Haustür aufmacht, pfeift ein eisiger Wind herein.
    »Das gibt’s doch nicht!«
    Der Wind zerrt an seinem Schal und wirbelt die ungeöffneten Rechnungen auf dem Dielentischchen durcheinander.
    »Ja, Bob. Es ist kalt. Machst du bitte die Tür zu?«
    Schweigen.
    »Meine Güte noch …« Als sie ihm die Klinke aus der Hand nehmen will, verschlägt es ihr ebenfalls die Sprache. »Du lieber Himmel …«
    »Spinne ich, oder war das Ding gestern wirklich noch nicht da?«
    Im Vorgarten des gegenüberliegenden Hauses steht eine Fahnenstange mit gehisstem Union Jack.
    »Was für ein Riesenteil«, sagt Bob.
    Carol fällt nichts mehr ein. Sie ist wie vom Donner gerührt. Es scheint ihr bemerkenswert, dass über Nacht etwas so Enormes klammheimlich in ihr Leben treten konnte.
    »Dafür braucht man doch bestimmt eine Genehmigung, oder?«
    »Keine Ahnung«, murmelt Carol.
    »Tja«, sagt Bob endlich. »Ich muss jetzt wirklich los.«
    »Bis später dann.« Sie kann den Blick noch immer nicht von der Fahnenstange losreißen.
    Helen scheint der einzige Mensch in London zu sein, der von der depressiven Frühwinterstimmung noch nichts mitbekommen hat. Sie begrüßt Carol mit einem Lächeln, wie ihre Freundin es seit Monaten oder sogar Jahren nicht mehr bei ihr gesehen hat.
    »Du strahlst ja so«, sagt Carol mit nicht zu überhörendem Argwohn in der Stimme.
    »Wer? Ich?« Helen wird rot. Sie konnte sich noch nie gut verstellen. »Ich habe ein Date. Oder auch nicht. Wie man’s nimmt.«
    »Ja, was denn nun?«
    »Also, es ist wohl schon ein Date. Aber weil es unsere erste Verabredung ist und wir nur zusammen einen Kaffee trinken wollen, kommt es mir eher so vor wie ein Date, das so tut, als wäre es keins.«
    Weil Carol absolut keine vernünftige Antwort einfallen will, staunt sie Helen nur sprachlos an.
    »Guck doch nicht so«, sagt die. »Kann ich denn nicht auch ein Leben haben?«
    »Aber … aber … ich freue mich ja für dich. Bloß … das hat jetzt nichts mit deinem Liebesleben zu tun, aber unsere Nachbarn haben sich gerade eine Fahnenstange in den Vorgarten gestellt. Wie aus heiterem Himmel stand sie plötzlich da. Von heute auf morgen.« Helen versteht nur Bahnhof. »Und jetzt erzählst du mir, dass du ein Date hast. Ich habe das Gefühl, als wäre ich in einen Kaninchenbau gefallen.«
    »Ist mein Leben denn wirklich so hoffnungslos?«
    »Nein, nur … und du bist echt mit einem lebendigen Mann aus Fleisch und Blut verabredet?«
    »Nein, ich habe mir den Schlüssel vom Leichenschauhaus geborgt. Ich finde nämlich, Leichen werden als mögliche Lebenspartner gewaltig unterschätzt.«
    »Aber es ist schon eine richtige Verabredung, ja? Der will dir nicht nur

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