Unbekannt verzogen: Roman
eines Rasenmähers, wenn sich ein Stein in den Messern verkeilt hat, und die Karosserie rattert, als würde sie eher durch pures Glück als durch solide Schweißnähte zusammengehalten. Trotzdem fährt Marjorie so rasant und springt so halsbrecherisch von Lücke zu Lücke, als ginge es um Leben und Tod. Dass Albert neben ihr sitzt, scheint sie völlig vergessen zu haben. Stumm hält sie das Lenkrad gepackt und blickt mit der hochkonzentrierten Miene eines Kamikazepiloten auf die Fahrbahn.
Erst nachdem sie in eine ausufernde Reihenhaussiedlung eingebogen ist, erwacht sie wieder aus ihrer Starre.
»Nun sehen Sie sich das bloß an«, sagt sie angewidert, »das ist doch wie Legoland. Und für so was halst man sich dann eine Riesenhypothek auf und stürzt sich in lebenslange Geldnöte.«
Wenn das ihre übliche Verkaufsstrategie ist, wundert es Albert gar nicht, dass ihre Geschäfte nicht gut laufen. Er findet die Häuser eigentlich ganz anheimelnd. Alle Türen sind in einer fröhlichen Farbe gestrichen, und keine hat ein schweres Schutzgitter, wie in seiner Hochhaussiedlung.
Marjorie steigt auf die Bremse und stemmt sich gegen das Lenkrad, während der Wagen schlingernd zum Stehen kommt.
»Da wären wir«, sagt sie.
Mit seinen leeren, kahlen Fenstern wirkt das Häuschen sehr verloren und allein zwischen seinen Nachbarn – ein Zustand, den Albert aus eigener Erfahrung nur allzu gut kennt.
»Hübsch, nicht wahr?«, sagt er, mehr zu sich selbst.
»Wollen Sie schon mal vorgehen? Ich brauch noch ‘ne Kippe. Und dass ich drinnen rauche, haben die Nikotinnazis natürlich verboten.«
Sie gibt ihm den Schlüssel und scheucht ihn aus dem Wagen. Schon ist sie in einer Benson & Hedges-Wolke verschwunden, während Albert durch den kleinen Vorgarten geht – groß genug für einen Liegestuhl und ein Kofferradio, alles, was ein Mann braucht – und den Schlüssel ins Schloss steckt. In wohlgeölten Angeln schwingt die Tür einladend auf.
Unversehens von einem Gefühl erfüllt, wie es die meisten Menschen nur beim Anblick eines neugeborenen Enkelkinds empfinden, tritt er ein und blickt sich mit großen, staunenden Augen um.
Obwohl es bei seiner Expedition ja eigentlich um Connie geht, kann er im Moment keinen Gedanken für sie erübrigen, so überwältigt ist er. Genau so eine Küche hätte seine Frau sich gewünscht, groß und mit maßgefertigten Einbauschränken, schöner als alle, die Albert je gesehen hat.
»Wenn ich dir doch nur auch so eine hätte bieten können«, murmelt er. »Aber solche Küchen gab’s ja zu unserer Zeit noch gar nicht.«
Er wirft einen Blick in den höhlenartigen Kühlschrank.
»Na, um so ein Ungetüm zu brauchen, hätten wir uns schon wie die Karnickel vermehren müssen. Nicht, dass du etwas dagegen gehabt hättest, du kesses Ding.«
Im Wohnzimmer führt eine Terrassentür in einen kleinen Garten hinaus, dessen quadratischer Rasen von unbepflanzten Blumenbeeten und einem hohen Holzzaun umgeben ist.
»Jetzt schau dir das an«, staunt er. »Hier könnten wir fast alles an Gemüse anbauen, was wir zum Leben brauchen, und hätten immer noch Platz für deine Rosen. Das war doch immer dein Traum – Kletterrosen um die Tür. Und vielleicht einen kleinen Albert, der mit seinen Zinnsoldaten spielt …«
Wie sie geschwärmt hätte von diesem Garten – wenn sie nicht schon beim Anblick der Küche in Ohnmacht gefallen wäre. Bei diesem Gedanken ist sie ihm plötzlich ganz nah. Könnte er diesen Moment doch nur festhalten, dann müssten sie sich nie mehr trennen.
Marjorie kommt herein, angekündigt durch einen bellenden Husten.
»Verdammte Qualmerei«, keucht sie. »Ich sollte wirklich damit aufhören, aber was bliebe mir dann noch?« Sie klopft sich ein paar Mal auf die Brust und schluckt. »Na, wie finden Sie das Haus?«
»Ganz zauberhaft.«
»Das hören wir gern. Der Preis ist auch annehmbar. Obwohl das in einem Jahr keiner mehr sagen wird, wenn es dreißig Prozent weniger wert ist. Haben Sie sich schon oben umgesehen?«
»Das wird kaum nötig sein.«
»Ich dachte, es gefällt Ihnen.«
»Tut es auch, aber … Ich war nicht ganz ehrlich zu Ihnen. Einen Umzug kann ich mir gar nicht leisten.«
Da Marjorie schon den ganzen Vormittag ein enttäuschtes Gesicht macht – und vielleicht schon ihr halbes Leben –, sieht man ihr den erneuten Tiefschlag nicht an.
»Tja, ich kann’s Ihnen nicht verdenken«, seufzt sie. »Welcher vernünftige Mensch will denn heutzutage noch was mit Immobilien zu tun
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