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Unberuehrbar

Unberuehrbar

Titel: Unberuehrbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Rubus
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von ihm gelöst hatte. Chase lag nun ruhig, er schlief tief und fest. Seine Wunden waren vollständig verheilt, und nur noch eine dünne, verkrustete Schicht auf seiner Haut zeigte an, wo die Nekrosen ihn entstellt hatten. Neben dem Bett auf dem Steinboden lag noch immer der Mensch. Kris konnte sein Herz in der Dunkelheit schlagen hören.
    Er musste den Mann untersuchen und zurück ans Ufer bringen, bevor die Sonne aufging, dachte er sicher zum hundertsten Mal. Aber er konnte sich nicht rühren. Die Finsternis, die in seinem Inneren brodelte, hatte ihn fest im Griff, stärker als je zuvor, und ließ ihn matt und kraftlos zurück. Sie schwappte durch seinen Körper wie schwarze Wellen, die ihn verschlucken und unter sich begraben würden, wenn er nicht bald etwas trank. Aber von wem sollte er hier und jetzt Blut bekommen?
    Kris betastete die klebrige Wunde an seinem Hals, die Chase’ Zähne hinterlassen hatten. Sie heilte nur langsam. Zu langsam. Vampire wurden schwach, wenn sie ihr Blut anderen Vampiren schenkten. Sie wurden schwach und verloren schlimmstenfalls die Kontrolle über ihre Gabe. Deswegen war es verboten. Aber für Kris war diese Erfahrung nichts Neues. Er war schließlich zeitlebens eine Hure gewesen.
    Für Gregor, für Céleste. Und jetzt für Chase.
    Aber vielleicht, dachte er mit zynischer Belustigung, hatte eres diesmal übertrieben. Sein Blut hatte geheilt und zerstört. Aber vor allem zerstörte er nun sich selbst. Stück für Stück. Er musste trinken, und das bald, oder er würde sterben. Oder schlimmer – für alle Ewigkeit in dieser Dunkelheit gefangen sein, aus der es keinen Ausweg gab.
    Mühsam richtete Kris sich auf. Dort in der Ecke mussten noch die leeren Konserven liegen, die er so frustriert von sich geworfen hatte. Ein letzter Schluck mochte noch darin übrig sein. Oder zwei. Konservenblut. Ekelhaft. Aber besser als nichts.
    Er zwang die bittere Galle hinunter, die ihm die Kehle hochstieg, als er sich auf die Füße kämpfte. Bis zur Wand waren es nur wenige Schritte. Und dort waren die Blutbeutel. Wenige kostbare Tropfen glänzten dumpf darin. Mit steifen Bewegungen ging Kris in die Knie und griff nach den fast leeren Konserven, riss sie auf und leckte gierig die kümmerlichen Reste vom Plastik. Es half ein wenig. Kaum genug, um seinen brennenden Durst auch nur ansatzweise zu stillen – aber doch ausreichend, um sich einen letzten Rest Würde zu bewahren und nicht auch noch die Spritzer von der Wand und vom Boden zu lecken. Schwer atmend lehnte Kris sich mit dem Rücken gegen die feuchten Steine und wartete, dass sein Herzschlag sich ein wenig beruhigte, während sein Kopf bereits wieder zu arbeiten begann. Was war da heute bloß passiert? Was war mit dem Blut dieses Menschen? Wieder dachte er daran, dass auch Red am Morgen etwas seltsam geschmeckt hatte. Lag es also an dieser Gegend, und waren dementsprechend dann alle Bewohner des Dorfes betroffen? War es etwas, das sie aßen oder tranken, etwas, das Rückstände in ihrem Blut hinterließ? Das Wasser dieses Sees, vielleicht. Das war möglich – und wenn diese Vermutung zutraf, dann waren sie schon sehr bald in großen Schwierigkeiten. Denn dann konnte es nicht mehr lange dauern, bis auch Reds Blut verseucht war.
    Er musste es wissen, dachte Kris. Er musste das Blut dieses Menschen untersuchen – so weit ihm das mit seinen wenigen Mitteln möglich war.
    Entschlossen rappelte er sich auf und suchte in den Taschen, die ihre wenigen Habseligkeiten enthielten, nach dem kleinen Koffer, in dem er einige einfache Laborgerätschaften verstaut hatte. Spritzen und Petrischalen, Reagenzgläser aus Kunststoff, Handschuhe und Pipetten, einige Streifen verschiedener Indikatorpapiere und Lösungsmittel. Er hatte sie vor allem deshalb eingepackt, um als reisender Wissenschaftler glaubwürdiger zu erscheinen. Aber jetzt war er froh darüber. So konnte er wenigstens versuchen, herauszufinden, was geschah, wenn sich das Blut dieser Menschen mit dem von Vampiren mischte.
    Behutsam setzte Kris eine Spritze in die Ellbeuge des bewusstlosen Mannes neben dem Bett und nahm mit bedächtigen Bewegungen eine Blutprobe aus der Vene. Zum ersten Mal betrachtete Kris ihn nun auch genauer. Er war recht jung, nur wenige Jahre älter als Red vermutlich, auch wenn sein breites Kreuz und das kantige Gesicht unter den verschwitzten dunklen Locken im ersten Augenblick darüber hinwegtäuschten. Sein Blut aber stand in krassem Gegensatz zu seinem kräftigen Äußeren.

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