Unberuehrbar
Es war blass und wässrig, kaum besser vermutlich als das verdünnte Konservenblut.
Und doch so gefährlich.
Kris roch es jetzt deutlich. Der Mann hatte am Abend zuvor Alkohol getrunken und stark gewürzten Fisch gegessen – aber da war noch etwas anderes. Das Aroma seines Blutes tränkte die feuchte Luft in der Kammer in Sekundenschnelle und breitete sich wie ein pelziger Film auf Kris’ Zunge aus. Intensiv, ein wenig säuerlich und eigentümlich metallisch – und spätestens jetzt war kein Zweifel mehr möglich: Es war der gleiche Geschmack, den Kris so viel schwächer auch in RedsBlut wahrgenommen hatte. Schnell verschloss er das Probenröhrchen und nahm mit einer zweiten Spritze eine Probe von seinem eigenen Blut. Nicht, dass er auch nur einen Tropfen hätte entbehren können. Cedric hätte ihm einen gerechtfertigten Verweis für so leichtsinniges Verhalten erteilt. Aber er hätte ihn auch verstanden, da war Kris sich sicher. So bedrohlich die Situation sein mochte, so aufregend war sie auch. Worauf war er da nur gestoßen?
Er schob die Probenröhrchen in seine Hosentaschen und stand auf. Für einen Moment schwankte die Welt um ihn herum, schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen, und er musste sich an der Wand abstützen. Vielleicht, gestand er sich widerwillig ein, sollte er mit den Tests doch warten, bis er von Red getrunken hatte. Und vor allem musste er endlich diesen Mann zurück ins Dorf bringen, ehe sein Fehlen auffiel. Kris rieb sich über die Augen. Es war wirklich erschreckend, wie kraftlos er sich fühlte. Aber bis ans andere Ufer würde er es wohl noch eben so schaffen. Und mit etwas Glück würde er dort vielleicht auch Red wiedertreffen. Notfalls würde er am Strand auf ihn warten müssen.
Entschlossen hob er den schlaffen Körper des Menschen vom Boden. Dann machte er sich auf den Weg.
Am Strand unterhalb der Siedlung legte Kris den bewusstlosen Mann schließlich ab. Es wäre dringend nötig gewesen, jetzt noch einen Teil seiner verbliebenen Kraft darauf zu verwenden, dass der Mensch sich an nichts erinnern würde, wenn er aufwachte. Aber damit, das wusste Kris, würde er einen völligen Kontrollverlust riskieren. Und das konnte er sich nicht erlauben. Nicht hier. Die Behandlung des Mannes würde warten müssen, bis er getrunken hatte. Aber dafür brauchte er Red.
Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als er hintersich, kaum hundert Meter entfernt, ein Rascheln im Unterholz am Waldrand hörte. Schritte. Leise Stimmen. Und Lachen. Ruckartig hob Kris den Kopf und wandte sich um. Er kannte diese Stimmen. Eine davon besonders gut. Red – er war hier! Als hätte er ihn gerufen.
Aber er war nicht allein.
Reglos blieb Kris sitzen und starrte zum Eichengehölz hinüber. Es war eine kluge Entscheidung gewesen, nicht noch mehr von seiner Kraft zu verbrauchen, um seine Gabe bei dem Menschen einzusetzen, das spürte er plötzlich deutlich. Auch so war er näher an seine Grenzen geraten, als gut war. Sehr viel näher. Die Welt flimmerte vor seinen Augen, obwohl er sich nicht rührte. Die Dunkelheit pochte wild in seiner Brust. Er kannte dieses Gefühl. Es konnte vernichtend sein. Kris biss die Zähne zusammen und verfluchte sich selbst. So weit hätte es nicht kommen dürfen. Er brauchte Hilfe. Dringend.
Als die zwei Gestalten zwischen den Bäumen auftauchten, zuckten seine Finger. Aber er rührte sich noch immer nicht.
Sie gingen Hand in Hand, dicht nebeneinander. Etliche quälende Sekunden schienen sie ihn nicht einmal zu bemerken – bis Red wie angewurzelt stehen blieb. Kris spürte sein Zögern wie ein schmerzhaftes Prickeln auf seiner Haut, spürte die Unentschlossenheit, die an seinen überreizten Nerven zerrte. Etwas stimmte nicht. Warum kam er nicht hierher, zu ihm? Er musste doch fühlen, dass Kris ihn brauchte! Dunkelheit breitete sich in ihm aus wie zähflüssiger Teer.
Und dann schrie Elizabeth auf.
»Colin!«
Ihre Stimme fuhr wie ein Stromschlag durch Kris hindurch. Wie betäubt beobachtete er, wie sie auf ihn zustürzte und neben dem jungen Mann auf die Knie fiel, der immer noch bewusstlos im grauen Sand lag. »Colin … Colin, was …?«
Red aber blieb einige Schritte entfernt stehen. Sein andauerndes Zögern brannte wie Feuer auf Kris’ Haut.
Elizabeth hob den Kopf und starrte Kris fassungslos an. »Was hast du mit ihm gemacht?«
Ihre Stimme war fast erschreckend ruhig. Schneidend und völlig frei von Hysterie.
Sekundenlang sagte Kris nichts, sah nur mit leerem
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