Unberuehrbar
zu trennen. Sie hatte keine Chance. Kris trank von Reds Leben, seiner Wärme wie ein Verdurstender, bis das Hämmern in seiner Brust zu einem leisen Pochen geschrumpft war. Bis er seinen Körper wieder spüren konnte und er Reds schmerzvolles Keuchen zwischen den erstickten Atemzügen erschreckend deutlich wahrnahm – im gleichen Augenblick, als ein harter Schlag mit schmerzhafter Wucht seine Nieren traf.
Kris keuchte auf und stolperte rückwärts. Ungläubig starrte er auf Red, der nun ebenfalls zurückwich. Die Sorge und das Schuldgefühl waren aus seinem Blick verschwunden. Seine Augen glühten vor Zorn.
»Ich habe gesagt, du sollst
aufhören
!«
Noch immer rang Kris nach Atem. Was hatte er getan? Seine Knie waren plötzlich weich und zitterten wie Espenlaub. Er ertrug es kaum, Red weiter ins Gesicht zu sehen. Aber sich abwenden konnte er auch nicht. Er hatte sich ihm aufgezwungen. Das würde er sich niemals verzeihen. Und Red ihm auch nicht.
»Red …«
»Kein Wort!« Red machte noch einen Schritt rückwärts und drängte zugleich Elizabeth zurück, die nun erhitzt und verstört wirkte – kein Wunder bei dem, was sie gerade hatte beobachten müssen.
»Ich will
nichts
von dir hören.« Reds Stimme bebte vor Wut, aber er wurde nicht laut. Dafür drang seine Enttäuschung tief in Kris ein wie ein scharfes Messer. »Du hast es versprochen, erinnerst du dich? Du hast gesagt, ich kann gehen, wann ich will.« Bitterkeit verdunkelte seine Miene. Endlose Sekunden schien selbst die Zeit den Atem anzuhalten.
Dann sprach Red es aus.
»
Jetzt
gehe ich.«
Kris fühlte sich wie erstarrt. Er wusste, jetzt war die letzte Gelegenheit, etwas zu tun. Seine Gabe zu nutzen, damit Red sich nicht abwandte. Aber allein beim Gedanken daran wurde ihm schlecht. Er hatte Red heute schon einmal verraten. Und sich selbst.
Reglos sah er zu, wie Red sich umdrehte und in die Hocke ging, um den Menschen auf seine Arme zu heben, ehe er sich in Richtung Dorf wandte. Kris sah er nicht noch einmal an.
»Chase wäre heute Nacht fast gestorben!«
Die Worte drängten aus Kris heraus, noch ehe sich Red mehr als fünf Schritte von ihm entfernt hatte.
Red verharrte. Aber er sah nicht zurück.
Kris holte mühsam Luft. Dies war seine letzte Chance. Chase. Die einzige Möglichkeit, Red vielleicht noch zu halten, wenn er selbst es schon nicht konnte.
»Das Blut der Menschen in diesem Dorf ist giftig für uns.« Er machte einen zittrigen Schritt auf Red zu. »Wenn du hierbleibst, dann … betrifft es bald auch dich.«
Nun endlich warf Red doch einen Blick über die Schulter zurück. Seine Augen waren seltsam leer. Doch in ihrer Tiefe konnte Kris dumpfen Schmerz erkennen. Und auch Reds leise Stimme, obwohl sie nicht einen Augenblick schwankte, klang gequält – und unendlich traurig.
»Dann verschwindet ihr besser so schnell wie möglich von hier«, sagte er.
Kris wollte etwas sagen, etwas erwidern, das helfen würde, diesen schrecklichen, schwarzen Riss zwischen ihnen zu überbrücken, ehe er so tief war, dass eine Heilung unmöglich wurde. Aber er konnte es nicht. Er wusste nichts. Endlose Sekunden noch sah Red ihn an, ehe er sich abwandte.
Dann ging er an Elizabeths Seite über den Strand davon und ließ Kris zurück. Allein mit dem Dämmerlicht des anbrechenden Tages und dem Gefühl des Sandes, der zwischen seinen Fingern zerrann.
Und erst als die Menschen schon längst zwischen den Bäumen verschwunden waren, wurde Kris klar, dass er diesem Colin am Ende doch nicht die Erinnerung genommen hatte.
Kapitel Zwölf
28 Forest Lane, Kinlochliath, Schottland
Der Mann war schwer. Er war mindestens so groß wie Red und noch dazu breiter gebaut, und nach einigen hundert Metern, die Red ihn durch den noch von Nachtschatten verhangenen Wald getragen hatte, waren ihm bereits allmählich die Arme lahm geworden. Jetzt, wo er und Elizabeth sich dem kleinen Haus näherten, in dem sie mit Morna lebte, brannten seine Muskeln vor Anstrengung. Aber das störte ihn nicht. Er hatte schon schlimmere Belastungen ertragen, ohne zu jammern. Es war sogar gut, dass es weh tat, in gewisser Weise. Weil es ein realer, körperlicher Schmerz war, der nichts mit dem dumpf nagenden Gefühl des Verlustes in seiner Brust zu tun hatte.
Hinter dem Küchenfenster brannte Licht. Red versuchte, seinen Atem ruhig zu halten und sich darauf vorzubereiten, was ihn dort drin erwarten würde – aber das war schwerer, als er sich selbst eingestehen mochte. Aus dem Augenwinkel
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