Unberuehrbar
Stimme. Sein Blick loderte vor plötzlich aufflackerndem Hass. Red zuckte zurück.
»Nein!« Elizabeth schüttelte hastig den Kopf. »Red ist ein Mensch, Colin!«
Ein raues Lachen stolperte Colins Kehle hinauf. »Ganz sicher nicht.« Seine Augen waren nun wieder erschreckend klar, der Schleier spurlos verschwunden. »Er ist vielleicht noch sterblich, aber ein Mensch ist er schon längst nicht mehr!«
Red hatte das Gefühl, nicht atmen zu können. Damit hatte er nicht gerechnet. Ein Vampir? Er? Aber das war doch Unsinn … Er runzelte finster die Stirn. »Was willst du damit sagen?«
Er hatte kaum ausgesprochen, als plötzlich ein heiserer Laut über Colins Lippen brach. Er stieß Elizabeth zur Seite, die erschrockenaufkeuchte, sprang auf die Füße und stürzte auf Red zu – die Hände wie Klauen ausgestreckt, als wollte er nach ihm greifen. Red sah die Bewegung wie in Zeitlupe an sich vorbeiziehen. Reflexartig wich er aus, packte Colins Arm mit beiden Händen und riss ihn zu sich heran, um ihm sein Knie in die Eingeweide zu stoßen. Colin japste und sackte vornüber.
»Colin!«,
schrie Morna mit sich überschlagender Stimme – während Red mit Entsetzen feststellte, dass er bereits den Revolver gezogen und die Mündung gegen Colins Kopf gepresst hatte. Es war alles so schnell gegangen, dass er nicht einmal bewusst bemerkt hatte, was er tat. Auf plötzlich zittrigen Beinen trat er einen Schritt zurück und senkte die Waffe.
Sehr langsam richtete Colin sich auf. Ein düsteres Lächeln war auf seinem Gesicht erschienen, und in seinen Augen glomm ein boshaft belustigter Funke.
Er weiß etwas.
Red spürte, wie bei dem Blick ein Schauer über seinen Rücken lief.
Etwas, das er nicht wissen dürfte.
Er schluckte hart.
»Das also nennst du menschlich, ja?«, flüsterte Colin.
Elizabeth hatte sich inzwischen wieder gefasst. »Verdammt noch mal, Colin, was ist denn los mit dir?« Ihre Stimme bebte leicht. Auch Morna starrte völlig entgeistert auf Colin, der sich nun endgültig aufrichtete und die Hände in die Hosentaschen schob. Sein Kiefer war angespannt, seine Brauen waren finster zusammengezogen. Seine Haare fielen schweißfeucht in seine Stirn, und er war immer noch blass. Aber sein Blick funkelte. Für einen winzigen Moment, dachte Red, sah er Chase erschreckend ähnlich …
Chase.
Kris’ Stimme klang ihm plötzlich wieder deutlich im Ohr. Eindringlich. Flehend. Verzweifelt. Red presste die Lippen zusammen. Hatte Kris die Wahrheit gesagt? War Chase beinahe
gestorben
? Aber er war ein Vampir! Unsterblich! Es klang einfach zu unwahrscheinlich, als dass Red hätte glauben können, dass Kris sich so etwas ausdenken würde.
Red schüttelte den Kopf. Er würde es nicht erfahren. Und er musste sich an den Gedanken gewöhnen, dass es nicht mehr seine Angelegenheit war, was aus den Vampiren wurde. Er hatte sich für seine Seite entschieden. Auch wenn sich diese Entscheidung für den Augenblick noch alles andere als gut anfühlte.
»Du irrst dich«, sagte er so ruhig wie möglich und schob den Revolver zurück in das Halfter an seinem Gürtel. »Ich töte Vampire. Ich gehöre nicht zu ihnen. Nicht mehr.«
Colin musterte ihn aus schmalen Augen, und für eine ganze Weile war es, als seien sie ganz allein im Raum. Elizabeth und Morna waren still geworden, wagten vielleicht nichts mehr zu sagen, damit sich die angespannte Stimmung nicht mit einem Knall entlud. Red hörte sie nicht einmal mehr atmen.
»Beweis es«, sagte Colin.
Red erwiderte seinen Blick, ohne zu blinzeln. »Wie?«
Er sah, wie sich Colins Brustkorb unter einem bedächtigen Atemzug weitete. Seine Hand hob sich zu seinem Hals, wo noch immer die Spuren von Vampirzähnen zu sehen waren – tiefrot und dunkelviolett wie ein sehr scharf umrissener Bluterguss. »Als ich bewusstlos war«, erklärte er langsam, ohne den Blick von Red zu lösen, »habe ich etwas gesehen. Bilder von dir. Ich habe gesehen, wie dieser Vampir von dir getrunken hat. Ich habe es gefühlt. Du
sehnst
dich danach. Versuch nicht, mir das Gegenteil zu erzählen – ich weiß es besser. Wie willst du mir da glaubwürdig erzählen, dass du
ganz plötzlich
auf unserer Seite stehst?«
Red schluckte. Colins Worte riefen ein unbestimmtes Gefühl der Übelkeit in ihm hervor – und Wut. Weil sie einenPunkt tief in seinem Inneren berührten, der so privat und intim war, dass es Red Herzrasen verursachte, wenn er nur daran dachte, diese Empfindungen mit jemandem zu teilen, der keinen Anteil
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