Unberuehrbar
ihn prüfend. Da war noch mehr. Kris sah es ihm an. Dinge, die Cedric nicht aussprach, die aber wichtig genug sein mussten, um ihn selbst im Angesicht dieser unglaublichen Entdeckung umzutreiben.
Dann aber schüttelte er den Kopf. »Du hast recht. Das tut es nicht.« Er schob die Hände mit scheinbarer Gelassenheit in die Taschen seines Mantels. Doch Kris hatte das leichte Zittern seiner Finger bereits gesehen.
Eine ganze Weile schwiegen sie beide. Die Flammen warfen zuckende Schatten auf ihre Gesichter.
»Was ist mit dir?«, fragte Kris schließlich. »Willst du die Sterblichkeit zurück?«
Cedric hob leicht die Schultern. »Nicht für mich«, sagte er. »Aber ich wüsste ein junges progressives Mädchen, das sich das mehr als alles andere auf der Welt wünschen würde.«
Kris verschränkte die Arme vor der Brust und starrte nachdenklich in die Flammen.
O ja,
dachte er,
Red würde das auch gefallen.
Wieder war es eine Weile still zwischen ihnen.
»Die Wahrheit ist«, sagte Cedric dann unvermittelt, »dass nicht nur Frei nach euch gesucht hat.« Er holte ein wenig angestrengt Luft, ehe er Kris das Gesicht zuwandte. Seine gelben Augen glitzerten im Feuerschein. »Ich möchte, dass du wieder für mich arbeitest.«
Kris sah ihn ehrlich überrascht an. »Ich dachte, du wärst froh gewesen, mich los zu sein.«
Eine steile Falte erschien zwischen Cedrics Brauen. Im unsteten Licht der Flammen wirkte sein Gesicht plötzlich sehr düster. »Das war ich auch. Aber die Zeiten haben sich geändert. Sagen wir, ich weiß jetzt, was ich an dir hatte.« Er sah Kris eindringlich an. »Meine Bedingungen von damals gelten nach wie vor. Du kannst jederzeit für mich arbeiten – so lange du es nur für mich tust. Dann werde ich dich, wenn ich kann, auch vor dem schützen, was dich aus Kenneth vertrieben hat. Selbst wenn es die
Bloodstalkers
sind. Also?«
Nun wusste Kris wirklich nicht mehr, was er sagen sollte. Schweigend erwiderte er Cedrics Blick. Aber auch Cedric schwieg jetzt.
»Warum?«, fragte Kris endlich. »Was ist passiert?«
Cedric schüttelte nur den Kopf. »Sag einfach ja oder nein. Mein Angebot steht.«
Nachdenklich fuhr Kris sich mit den Fingern durch die Haare. »Nun ja«, murmelte er dann. »Ein besseres bekomme ich in Kenneth wohl nicht.«
Ein schmales Lächeln erschien auf Cedrics Gesicht. »Also abgemacht. Dann sprechen wir später über die Details.« Er nickte Kris noch einmal zu. »Jetzt sollten wir allerdings allmählich aufbrechen. Wir haben immerhin eine Progressive an Bord.« Mit diesen Worten wandte er sich um und ging voran den Pfad zur Burg hinauf.
Etliche Sekunden noch blieb Kris am Strand zurück und sah gedankenverloren in das Feuer, das inzwischen langsam herunterbrannte. White Chapel also. Es war das Letzte, womit er gerechnet hatte. Aber was auch immer dort vorgefallen war – die Station schien seine Bestimmung zu sein. Vorerst.
Kris schüttelte den Kopf und schob den Gedanken beiseite. Ein letztes Mal schickte er einen stummen Gruß in die Flammen. Dann wandte er sich ebenfalls ab. Cedric hatte recht. Es war Zeit, nach Hause zurückzukehren.
Kenneth wartete auf sie.
Und wer wusste, was sonst noch.
DRITTER TEIL: ÜBER MENSCHLICHKEIT
Menschlich zu sein bedeutet doch nichts weiter,
als ein Gewissen zu haben.
Sei es nun gut oder schlecht.
Kapitel Eins
Zwischen den Wolken und dem Nordatlantik
Frei starrte durch das kleine Fenster des Jetflugzeugs hinunter auf das nachtschwarze Meer. Es gab nicht viel zu sehen dort draußen, seit Stunden nicht, während sie der Sonne hinterherflogen – immer mit genügend Abstand, dass sie sie die ganze Reise über nicht ein einziges Mal zu sehen bekommen würden. Der nächtliche Nordatlantik bot nicht viel Abwechslung. Ein paar graue Schaumkronen auf dem dunklen Wasser und hier und da die Lichter eines Überseekreuzers. Frei war den Anblick schon seit einer ganzen Weile leid. Aber es war immer noch besser, als sich umzudrehen.
Weil das unweigerlich bedeutete, Red anzusehen.
Er hatte sich wie selbstverständlich neben sie gesetzt, bevor das Flugzeug startete. Schon in dem schwarzen Helikopter, auf dem Rückweg zu diesem schottischen Vampirlord, wo sie den Jet geparkt hatten, hatte er neben ihr gesessen. Aber er lächelte nicht, und seine Schultern waren angespannt. Er berührte sie auch nicht. Nicht einmal zufällig. Wenn sie sich aber zu ihm umdrehte, das wusste Frei, würde er ihren Blick erwidern, würde sie ansehen auf diese unsichere,
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