Unberuehrbar
was ist denn mit dir? Du bist doch nicht etwa schon dicht? Sag bloß, du verträgst keinen Alkohol?«
Red verstand nicht, was sie von ihm wollte. Alkohol, was sollte das sein? Er wusste es nicht, aber es war ihm im Augenblick auch eigentlich egal, er wollte sich einfach nur hinlegen.
Elizabeth fasste ihn am Arm. »Morna, die Decken!« Ihre Stimme klang fürsorglich und gleichzeitig irgendwie belustigt. Aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein. Er starrte auf die Maserung des Tischs, die sich vor seinen Augen bewegte, bis ihm die Augen einfach zufielen. Die Welt schwankte, und er riss die Augen wieder auf. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht! Das war doch keine normale Müdigkeit!
Als Elizabeth sanft an seinem Ellbogen zog, kam er mühsam auf die Beine – und wäre beinahe sofort wieder hingefallen.Er stolperte, sein Stuhl kippte um, und Red hielt sich an Elizabeths Schulter fest.
»Nur zwei Schritte«, hörte er sie sagen, »dann kannst du dich hinlegen.«
Red machte den ersten Schritt, dann den zweiten. Da lagen Decken vor seinen Füßen, die vorher nicht dagewesen waren. Und dann fiel er einfach auf die Knie und kippte vornüber. Der Boden fing ihn auf, die Decken dämpften den Aufprall nur mäßig, aber Red spürte das mit seinem tauben Körper ohnehin nicht. Verschwommen nahm er wahr, dass eine weitere Decke über ihn gebreitet wurde und eine Hand über seinen Kopf strich.
»Keine Sorge«, flüsterte Elizabeth, und er hörte sie lächeln, »das geht vorbei. Morgen ist alles wieder gut.«
Der Boden schwankte noch immer. Oder war er selbst es, der schwankte? Begann der Raum sich zu drehen, sobald er die Augen schloss? Red griff nach Elizabeths Hand, um wenigstens einen klaren Fixpunkt zu haben.
»Erstmal keinen Whisky mehr für dich, hm?« Elizabeths Daumen strich sanft über seinen Handrücken. »Tut mir echt leid. Ist dir schlecht?«
Red wollte den Kopf schütteln, ihr erklären, dass es ihm gutging, dass er einfach müde war, schlafen wollte, schlafen
musste
… Aber er fand die Worte nicht. Und schneller, als er selbst es je für möglich gehalten hätte, dämmerte er in einen bleischweren Schlaf hinüber.
Einen Schlaf, in dem er nicht einmal mehr träumte.
Kapitel Zwei
28 Forest Lane, Kinlochliath, Schottland
Sehr viel später wachte Red auf, weil sich ein Prickeln von seinem Kopf aus durch seinen ganzen Körper ausbreitete.
Es dauerte eine Weile, bis er es zuordnen konnte. Sein Schädel dröhnte, und im ersten Moment wusste er nicht einmal, wo er eigentlich war – bis er in dem schwachen roten Schimmer zu seiner Linken die Glut einer Feuerstelle erkannte. Hinter den Gardinen vor dem Fenster auf der anderen Seite des Raums war es noch dunkel, aber Red erinnerte sich jetzt. Er war im Haus dieser zwei jungen Frauen, er hatte zum ersten Mal in seinem Leben Whisky getrunken. Und es hatte ihm fürchterliche Kopfschmerzen beschert. Red stöhnte und presste die Knöchel gegen die Schläfe. Was war dieser Whisky bloß für ein Zeug? Das konnte doch nicht gut sein? Und warum machte es Elizabeth und Morna nichts aus? Red wischte sich über die verklebten Augen und legte den Arm darüber. Wenigstens hatte die Erde aufgehört zu schwanken, aber er war völlig durchgeschwitzt, und seine Zunge lag trocken wie ein Stück Sandpapier in seinem Mund. Hatte nicht auf dem Tisch ein Krug Wasser gestanden?
In diesem Moment regte sich erneut das Prickeln in seinem Geist, stärker diesmal – und jetzt konnte Red auch die Stimme darin erkennen, die besorgt seinen Namen wisperte.
Red?
Red, was ist mit dir?
Die Worte vibrierten unter Reds Schädeldecke, bis er glaubte,sein Kopf müsse im nächsten Augenblick platzen. Ein schmerzvolles Ächzen rutschte über seine Lippen.
»Kris! Sei leise«, flüsterte er. »Bitte. Ich habe etwas Schlechtes getrunken, mein Kopf tut weh … Geh raus da, ja?«
Eine Weile war es tatsächlich still. Dann erklang die Stimme erneut, sehr behutsam diesmal – und eindeutig belustigt.
Oh. Ich verstehe. Wenn das so ist, dann treffen wir uns bei Sonnenaufgang unten am See. Nimm den Weg durch den Wald, der hinter dem Haus anfängt. Ich warte am Ufer auf dich.
Red stöhnte noch einmal, drehte sich auf die Seite und zog die Decke über den Kopf. »Mach, was du willst«, murmelte er. »Aber lass mich jetzt einfach schlafen.«
Kris lachte leise.
Schon gut. Ich wecke dich rechtzeitig
. Dann war er verschwunden.
Red rollte sich auf seinem provisorischen Lager zusammen. Wecken,
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