Unberuehrbar
Elizabeth legte der Frau leicht die Hand auf die Schulter. »Ich habe ihn in den Bergen gefunden, er ist …« Ihr Blick flog zu Red. »… auf der Durchreise. Ich dachte, er könnte bei uns in der Küche schlafen.«
Morna starrte Red immer noch an, als könne sie nicht glauben, dass er wirklich vor ihr stand.
»Verrückt«, brachte sie heraus. »Das ist völlig verrückt. Mach die Tür zu!«
Gehorsam machte Red einen Schritt in den Flur hinein undzog die Tür hinter sich ins Schloss. Es wurde noch ein bisschen dunkler.
»Wir müssen reden«, sagte Morna zu Elizabeth. »Sofort!«
Elizabeth ließ ein leises Seufzen hören. »Geh doch schon in die Küche, Red.« Sie wies auf die Tür, durch die Morna eben gekommen war. Dann ließ sie sich von ihrer Freundin durch die gegenüberliegende Tür zerren, die mit einem dumpfen Laut hinter ihnen zufiel.
Unschlüssig blieb Red noch einen Augenblick im Flur stehen. Die Stimmen der beiden Frauen drangen gedämpft durch das Holz der Tür und die dünne Wand – Elizabeths beschwichtigend, Mornas heiser und aufgeregt. Aber bei dem Sprechtempo, das sie nun vorlegten, konnte er wirklich kein Wort mehr verstehen. Schließlich folgte er Elizabeths Rat und betrat die Küche.
Der Raum war klein und wurde von einem langen Holztisch bestimmt. In der Kochstelle brannte ein Feuer. Das flackernde Licht schimmerte auf den Messingtöpfen im Regal, die sich zwischen Geschirr, Gewürzfässer, Krüge und jede Menge Krimskrams drängten. Auf dem Tisch stand ein halbvoller Becher mit schwarzem Tee.
Red setzte sich auf die Kante eines der Stühle, die um den Tisch standen. Noch einmal versuchte er, Fetzen von der Unterhaltung im anderen Zimmer aufzufangen – vergeblich. Unruhig klopfte er mit der Schuhspitze auf die Holzdielen. Kurz überlegte er, einfach zu verschwinden. Und wieder landeten seine Gedanken in dieser Sackgasse. Wohin hätte er denn gehen sollen?
Und warum war er eigentlich so nervös?
Es schien ihm eine Ewigkeit zu dauern, bis er endlich auf dem Flur das Quietschen von Türangeln und die Schritte von Morna und Elizabeth hörte. Red sprang auf und bemühtesich, den Eindruck zu erwecken, er hätte überhaupt nicht gesessen. Angespannt starrte er in die Flammen der Feuerstelle und sah sich auch nicht um, als die beiden Frauen die Küche betraten.
Morna marschierte an ihm vorbei und ließ sich mit einem Ächzen auf den Stuhl vor dem Teebecher fallen. »So, mein Freund.« Ihre Stimme klang scharf – aber seltsamerweise nicht unfreundlich dabei. »Und jetzt setzt du dich zu uns und erzählst mal, warum du dich hier rumtreibst.«
Langsam wandte Red sich um. Er war froh, seine Hände in den Manteltaschen vergraben zu können, sonst hätte er ganz sicher unruhig an seinem Revolver herumgefummelt. Und das hielt er unter dem bohrend misstrauischen Blick der Schottin am Tisch für nicht besonders klug.
Wenigstens, dachte er, konnte er sie im Licht nun genauer sehen. Morna war vielleicht Anfang oder Mitte zwanzig und hatte ein breites Gesicht mit einem kantigen Kinn. Sie war klein, aber kräftig, mit geradezu unproportional großen Händen. Ihre Augen waren ebenso dunkel wie ihre Locken, und sie hatte Krähenfüße in den Augenwinkeln, die davon zeugten, dass sie oft lachte.
Im Moment allerdings lachte sie nicht. Sie musterte Red kritisch – sehr kritisch sogar. »Lizzy sagt, du bist auf der Flucht. Vor wem?«
Red warf einen schnellen Blick zu Elizabeth, die abwehrend die Hände hob. »Das hast du doch gesagt, oder nicht?« Sie setzte sich neben Morna.
Red runzelte die Stirn. »Habe ich nicht.«
Elizabeth seufzte. »Na gut – hast du nicht. Du hast den Kopf geschüttelt und eine ausweichende Antwort gegeben, als ich dich gefragt habe. Wie soll ich das sonst interpretieren?« Sie neigte sich ein Stück vor. »Aber hier hört dich keiner. Hier undjetzt musst du ehrlich sein, okay? Du bist schließlich Gast bei uns.«
Morna nickte energisch. »Und vor allem setz dich endlich hin. Es macht mich nervös, wenn du da so finster herumstehst.«
Red schloss kurz die Augen. Grimmig. Finster. Was wollten sie ihm eigentlich noch alles vorwerfen? Ehrlich sein … wenn sie gewusst hätten, wie schwierig das in seiner Situation war. Wenn er eins gelernt hatte bei den
Bloodstalkers,
dann war es, niemals mehr zu verraten als unbedingt nötig.
Langsam ließ er sich gegenüber von Elizabeth und Morna auf einen Stuhl sinken. »Also schön … Ich bin auf der Flucht«, erklärte er zögernd.
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