Unberuehrbar
ziehen uns zurück.« Er ließ Reds Schulter los und widmete ihm ein Lächeln. »Ruf mich, wenn du mich brauchst. Du weißt ja, wo du uns finden kannst.«
Red nickte stumm und trat einen Schritt zurück, bis er neben Elizabeth stand. Dann sah er zu, wie Kris und Chase sich abwandten und über den Strand davongingen. Wie sie den breiten Streifen Wasser, der zwischen der Burg und dem Ufer lag, mit einem einzigen Sprung überbrückten und schließlich zwischen den Mauern der Ruine verschwanden. Für ihn schon längst kein ungewöhnlicher oder schockierender Anblick mehr.
Doch er wusste nur zu gut: Elizabeth hatte es auch gesehen.
Kapitel Drei
Callahan Castle, Loch Liath, Schottland
Zwischen den Mauern von Callahan Castle war es düster, feucht und ungemütlich. Es war kein Ort zum Wohnen oder um sich darin wohl zu fühlen, im Gegenteil. Aber Kris war das ganz recht so. Er hatte weder die Absicht noch das Bedürfnis, diese Burg dauerhaft zu seinem Zuhause zu machen.
Im ersten Geschoss, in einer immerhin noch halbwegs bewohnbaren Kammer, hatten er und Chase Quartier bezogen. Es gab ein nacktes Bettgestell, das Kris mit einigen morschen Sofapolstern aus einem anderen Teil der Ruine zu einer provisorischen Schlafstatt aufgerüstet hatte. Auch die Kiste mit den Konserven stand dort, dazu zwei große Rucksäcke mit Kleidung zum Wechseln und ihren wichtigsten Habseligkeiten – ansonsten war das Zimmer leer. Kris stellte sich ans Fenster, lehnte die Unterarme auf das breite Sims und sah über das im Morgenlicht bleigraue Wasser des Loch Liath hinüber zum Ufer. Das Dorf lag noch im frühmorgendlichen Schlaf. Doch dort, zwischen den Bäumen am Ufer, sprachen nun Red und Elizabeth miteinander. Kris konnte sie nicht hören und auch nicht mehr eingreifen. Er konnte nur hoffen, dass das Gespräch so verlaufen würde, wie er es sich wünschte.
»Du spielst nicht fair.« Chase stand reglos in der geöffneten Tür. Feuchte Zugluft drang durch den Treppenschacht herauf. Kris konnte Chase’ Blick nicht sehen. Aber er spürte ihn im Nacken.
Langsam drehte er sich um und lächelte leicht. »Seit wannsteht denn Fairness so weit oben auf deiner Prioritätenliste, Chase?«
Chase betrat mit energischen Schritten den Raum und ließ sich aufs Bett fallen, das gefährlich wackelte und ächzte. Dann lehnte er sich gegen das marode Kopfteil und musterte Kris mit ausdrucksloser Miene.
»Auf meiner nicht«, erklärte er schließlich. »Aber Red wird dich hassen, wenn er’s rauskriegt. Das ist dir schon klar, oder?«
Kris hob die Brauen und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Fenstersims, um Chase seinerseits eingehend zu mustern. »Wie soll er davon erfahren, solange du ihm nichts erzählst? Und ich glaube nicht, dass du das tun wirst.«
Eine ganze Weile sagte Chase gar nichts, sondern starrte ihn nur weiter mit diesem ausdruckslosen Blick an.
»Ich hatte Red versprochen, dass niemand das Mädchen anfasst. Das war so abgemacht, erinnerst du dich?«
Kris schwieg und ließ die Finger über den feuchten Stein der Mauer gleiten. Die raue Struktur half ihm, das unruhige Pochen zu unterdrücken, dass sich bei Chase’ Worten in seiner Brust regte. Nicht zuzulassen, dass es sich zu einem Brodeln auswuchs, das er irgendwann nicht mehr würde kontrollieren können. Seit er aus Paris zurückgekehrt war, war es nie ganz verschwunden. Es war, als wäre es in ihm noch eine Spur dunkler geworden, seit er sich für immer von Céleste verabschiedet hatte.
Chase schüttelte ungeduldig den Kopf. »Du gehst ganz schön weit, nur um zu verhindern, dass er mitkommt, wenn ich von hier verschwinde.«
Kris verstärkte den Druck seiner Finger an der Wand, bis er fürchten musste, sich die Haut an den Steinen aufzureißen. Natürlich. Dieser Drang, Red an sich zu binden, und der fast zwanghafte Wunsch, alles zu tun, damit er bei ihm blieb – unddem Jungen damit genau das anzutun, worunter er selbst sein ganzes unsterbliches Leben lang gelitten hatte, erst unter Gregor und später unter Céleste. Chase musste ihn nicht daran erinnern, dass das falsch war. Doch je länger er dieses Pochen mit sich herumtrug, desto schwerer fiel es ihm, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Es drängte ihn, die strenge Selbstkontrolle aufzugeben und Red – und am besten gleich auch noch Chase – mit Hilfe seiner Gabe für immer und ewig unwiderruflich an sich zu ketten.
Aber das wäre ein Verrat an sich selbst, den Kris nicht zulassen durfte. Niemals.
»Ich habe dich
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