Unbescholten: Thriller (German Edition)
dass sein Gehirn einem starken Druck ausgesetzt ist. Diesen Druck müssen wir senken. Sobald das passiert ist, können wir ihn ins Karolinska-Krankenhaus verlegen.«
Während all ihrer Jahre als Krankenschwester hatte Sophie die Angehörigen von Patienten immer damit beruhigt, dass Verletzungen oft schlimmer aussahen, als sie waren. Und meistens war es wirklich so. Aber Alberts Verletzungen waren schlimmer, als sie aussahen. Sehr viel schlimmer.
In diesem Augenblick kam ihre Schwester Jane herein und sah erschrocken auf Albert. Sie nahm Sophie in den Arm.
Doch sie hatten kaum Zeit füreinander, denn Sophies Handy klingelte.
Es war Jens. Er klang gestresst.
»Du musst sofort verschwinden!«
»Ich kann Albert doch nicht alleine lassen.«
»Doch, du musst. Ich habe mit dem Krankenwagenpersonal gesprochen. Albert hatte kein Handy dabei. Wahrscheinlich hat es die Polizei, und dann haben sie eure Nachrichten gelesen. Sie wissen, dass du weißt, wer es war. Sie dürfen dich nicht finden.«
»Nein, Jens, ich lasse Albert nicht allein.«
»Ich habe herumtelefoniert und alles organisiert. Zwei Freunde kommen und werden abwechselnd bei Albert sitzen. Sie werden ihn bewachen und beschützen.«
Jane stand neben ihr, als Sophie das Gespräch beendete.
»Was ist hier los, Sophie?«
Sie antwortete nicht.
»Da ist noch etwas anderes, oder? Es ist nicht nur Alberts Unfall?«
Sophie überlegte kurz, ihr alles zu erzählen. Sie hatte Jane immer alles erzählt. Vertrauen und Offenheit waren das Band, das sie zusammenhielt. Sie schaute ihrer Schwester in die Augen und kämpfte gegen den Wunsch an, sie einzuweihen.
»Nicht jetzt, Jane. Ich muss weg hier, frag mich nicht, warum. Gib acht auf Albert. Zwei Männer werden mit dir auf ihn aufpassen. Lass sie bitte rein.«
Dann drehte sie sich um und verschwand. Sie schaffte es nicht, sich von Albert zu verabschieden, sie ging einfach aus dem Krankenzimmer, und Jane sah ihr fassungslos nach.
Sophie packte ihre Tasche. Sie warf ihr Handy in ihre Handtasche, lief ins Bad und füllte ihren Kulturbeutel. Da hörte sie Geräusche aus dem Wohnzimmer. Sie erstarrte und lauschte. Nichts. Sie packte weiter, Zahncreme, Zahnbürste – alles, was sich in Reichweite befand. Da hörte sie wieder ein Geräusch. Es klickte. Eine Tür wurde geschlossen. Ihr stockte der Atem, sie lauschte. Hatte sie es sich nur eingebildet?
Sie schlich zum Badezimmerfenster und schaute hinaus. Ein Honda stand auf der Straße. Sie trat vom Fenster weg. Jetzt hörte sie das Parkett unten knarren. Eiseskälte durchfuhr sie, sie stand vollkommen still.
»Schau oben nach«, sagte eine Männerstimme leise.
Sie hörte Schritte, die sich der Treppe näherten, und stand einfach nur da. Die Schritte kamen die Treppe herauf. Sie suchte nach etwas, womit sie sich verteidigen konnte. Da fiel ihr die Feuerleiter vor Alberts Fenster ein. Sophie huschte in sein Zimmer hinüber. Sie hängte sich die Handtasche diagonal über die Brust, öffnete das Fenster, kletterte auf den wackligen Schreibtisch und wollte gerade hinaussteigen, als die Tür hinter ihr aufgerissen wurde. Eine starke Hand packte sie am Kragen und riss sie zurück, sie landete hart auf dem Rücken. Hasse Berglund setzte ihr das Knie auf die Brust, eine Hand an ihrem Hals. Seine Wangen hingen herab, als er sich so über sie beugte. Er sah aus wie ein Hund. Sie schaute ihm in die wässrigen Augen und sah, dass er die Situation genoss.
»Anders!«, rief er.
Sophie fuhr mit der Hand über den Teppich unter Alberts Bett und bekam das alte Teleskop zu fassen. Sie packte es wie einen Baseballschläger.
»Anders!«, rief der Mann über ihr noch einmal und drehte für einen Moment den Kopf zur Seite.
Sophie schlug mit aller Kraft zu. Das Fernrohr traf Berglund an der Schläfe. Der Schlag war so hart, dass er ihren Hals losließ und zur Seite kippte. Sophie wand sich unter ihm hervor und trat mit ihrem linken Bein nach ihm, um ihren Fuß von seinem schweren Körper zu befreien. Auf der Treppe waren schnelle Schritte zu hören. Endlich kam Sophie los. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass der Kerl wieder zu sich kam. Sie sprang auf den Schreibtisch und warf sich aus dem Fenster. Mit der rechten Hand griff sie nach der rostigen Leiter und riss sich dabei die Handfläche auf. Dann verlor sie den Halt und fiel in die Tiefe. Sie landete mit dem Rücken auf dem Rasen. Ihr blieb die Luft weg, für einen Moment lag sie regungslos da. Dann zwang sie sich aufzustehen, obwohl sie
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