Unbeugsam
hatte jetzt eine furchtbare Wut auf die Haie. Er war davon ausgegangen, dass sie eine Abmachung hatten: Die Männer hielten sich aus dem Revier der Haie – dem Wasser – heraus, und dafür ließen die Haie sie in ihrem Revier – dem Boot – in Ruhe. Dass die Haie ihn angriffen, als er sich unter dem Boot versteckte, und auch nach dem Beschuss durch den japanischen Bomber, als das Boot fast unter Wasser lag, war okay und nachvollziehbar. Aber ihr Versuch, sich die Männer von ihrem reparierten Boot herunter zu schnappen, war in Louies Augen eine unfaire Gemeinheit. Die ganze Nacht hindurch kochte er vor Wut, am nächsten Tag hörte er nicht auf, den Haien hasserfüllt hinterherzustarren, und fasste schließlich einen Entschluss. Wenn die Haie jetzt tatsächlich so unverschämt waren, ihn als Mahlzeit zu behandeln, dann sollte es ihnen umgekehrt nicht besser gehen. 2
Er kniete sich am Bootsrand hin, beobachtete die Haie und hielt Ausschau nach einem Gegner, mit dem er es aufnehmen konnte. Ein Hai von ungefähr eineinhalb Metern Länge schwamm vorüber. Louie fühlte sich stark genug für ihn. Mit Phil zusammen heckte er einen Plan aus.
Sie hatten noch ein paar Köder im Boot, wahrscheinlich die Reste des letzten Vogels. Phil befestigte ein Stück an einem Angelhaken und hängte es am einen Ende des Bootes ins Wasser. Am anderen Ende kniete Louie und beobachtete, was im Wasser geschah. Der Hai witterte den Köder, schwamm in Phils Richtung, und dann hatte Louie die Schwanzflosse unter sich. Er lehnte |190| sich so weit aus dem Boot heraus wie er konnte, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, fuhr mit beiden Händen ins Wasser und schnappte nach der Schwanzflosse des Hais. Der Hai schlug aus. Louie, der die Schwanzflosse umklammert hielt, flog in hohem Bogen aus dem Boot, klatschte ins Wasser, und durch seine Nase drang eine ordentliche Portion Pazifik in seine Lungen. Der Hai peitschte seinen Schwanz hin und her und schüttelte Louie ab. Louie hechtete mit einer derartigen Geschwindigkeit ins Boot zurück, dass er sich später nicht mehr daran erinnern konnte, wie er es geschafft hatte.
Triefend und kleinlaut überdachte Louie seinen Plan. Sein erster Fehler war eine falsche Annahme gewesen: Haie waren stärker als sie aussahen. Zweitens hatte er den Fehler gemacht, im Boot eine zu instabile Haltung einzunehmen. Und er hatte – sein dritter Fehler – zugelassen, dass der Schwanz des Hais im Wasser blieb, was dem Tier die Möglichkeit gab, sich abzustoßen. Er nahm seinen Beobachtungsposten wieder ein und wartete auf einen kleineren Hai.
Kurz darauf näherte sich ein kleinerer, gut einen Meter langer Hai. Louie kniete sich an der Seite des Boots hin, verlagerte sein Gewicht nach hinten und nahm die Knie auseinander, um eine stabile Ausgangsposition zu haben. Phil hängte einen Angelhaken ins Wasser.
Der Hai schwamm auf den Köder zu. Louie packte mit beiden Händen den Schwanz des Hais und hievte ihn aus dem Wasser. Der Hai schlug um sich, konnte aber weder entkommen noch Louie ins Wasser ziehen. Louie zerrte das Tier ins Boot. Der Hai zuckte und schnappte mit weit aufgerissenem Maul um sich, und Phil nahm eine Leuchtpatrone und rammte sie dem Hai ins Maul. Louie hielt den Hai am Boden fest, nahm die Zange und stieß ihm das Schraubenzieher-Ende des Werkzeugs ins Auge. Der Hai war sofort tot.
Bei seinem Überlebenskurs in Honolulu hatte Louie gelernt, dass von einem Hai lediglich die Leber essbar ist. Es war alles andere als einfach, an die Leber heranzukommen. Selbst mit einem Messer lässt sich die Haut von Haien ungefähr so problemlos auftrennen wie ein Kettenhemd; wenn einem lediglich eine angespitzte Spiegelkante zur Verfügung steht, ist es die reine Schinderei. Es brauchte viel Sägearbeit, bis Louie es schaffte, die Haut aufzubrechen. Das Fleisch darunter stank nach Ammoniak. Louie schnitt die Leber heraus, sie war ziemlich groß. Gierig machten sie sich darüber her; Mac bekam eine größere Portion, und zum ersten Mal seit dem Frühstück am 27. Mai waren sie alle satt. Der Rest des Hais stank so, dass sie ihn über Bord warfen. Später fingen sie mit derselben Technik einen zweiten Hai und verzehrten wieder die Leber.
|191| Unter den Haien sprach sich das veränderte Verhalten der Bootsbesatzung offenbar herum; kleinere Haie wurden im Umkreis des Boots nicht mehr gesichtet. Große Exemplare, einige bis zu dreieinhalb Metern lang, gab es nach wie vor, aber Louie war klug genug, sich nicht mit
Weitere Kostenlose Bücher