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Unbeugsam

Unbeugsam

Titel: Unbeugsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Hillenbrand
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Nahrung mehr, kein Wasser, und waren völlig ungeschützt den Elementen ausgesetzt. Auf Kwajalein aber versuchten die Wachen mit allen Mitteln, ihnen das eine zu nehmen, das ihnen im Gegensatz zu allem anderen, was sie verloren hatten, erhalten geblieben war: ihre Würde. Die Selbstachtung, das Selbstwertgefühl, dieser der Seele nächste, innerste Schutzschirm, macht das Herz des Menschseins aus. Wer seiner Selbstachtung beraubt wird, wird entmenschlicht, er wird vom Menschsein abgetrennt, ausgestoßen. Personen, die solchen unmenschlichen Praktiken unterworfen werden, machen die Erfahrung abgrundtiefen Elends und äußerster Einsamkeit, und es ist ihnen kaum mehr möglich, die Hoffnung nicht aufzugeben. Mit der Würde verschwindet die Identität. Ohne Würde verstehen Menschen sich selbst nicht mehr aufgrund dessen, was sie selbst sind, sondern nur noch in Bezug auf ihre Peiniger und die Umstände, die ihnen aufgezwungen werden. Ein amerikanischer Flieger, der abgeschossen und von japanischen Soldaten unmenschlichen Torturen unterzogen worden war, beschrieb den psychischen Zustand, in dem er sich während seiner Gefangenschaft befand, mit den Worten: »Mir brachen buchstäblich Stücke meines Mensch-Seins weg.« 11
    Es gab nur wenige Gesellschaften, in denen Würde so hoch geschätzt und im Gegensatz dazu Erniedrigung so außerordentlich gefürchtet wurde wie in Japan, wo es allgemein anerkannt war, dass Ehrverlust in Selbstmord mündete. Das ist wohl einer der Gründe für die Unbarmherzigkeit, mit der japanische Soldaten im Zweiten Weltkrieg ihre Gefangenen demütigten: Sie entzogen ihnen das seelische Fundament, dessen Verlust für sie selbst am schmerzlichsten und destruktivsten war. Auf Kwajalein kamen Louie und Phil mit einer bitteren Wahrheit in Kontakt, um welche die Verdammten in Hitlers Todeslagern, die Sklaven im amerikanischen Süden und Hunderte weiterer Generationen von unterdrückten Volksgruppen wussten und wissen: Die Würde ist für ein Leben als Mensch ebenso wichtig wie Wasser, Nahrung und Sauerstoff. Wenn die Seele eines Menschen hartnäckig, auch |214| angesichts extremer körperlicher Strapazen, an dieser Würde festhält, dann ist sie auch in der Lage, lang über den Punkt völliger körperlicher Erschöpfung hinaus in ihrem Körper auszuhalten. Der Verlust der Würde hingegen kann einen Menschen mit derselben Zwangsläufigkeit dahinraffen wie Durst, Hunger, äußerste Strapazen und Ersticken – ebenso zwangsläufig, aber mit größerer Grausamkeit. An Orten wie Kwajalein konnte Entwürdigung so tödlich sein wie eine Gewehrkugel.
     
    Louie war seit ungefähr einer Woche in Kwajalein, als seine Zellentür aufgestoßen wurde und zwei Wachsoldaten ihn herauszogen. Panik stieg in ihm auf: War jetzt der Zeitpunkt seiner Hinrichtung gekommen? Er wurde eilig zu einem Gebäude gebracht, das offensichtlich eine Offiziersmesse war. Auf dem Weg begegneten ihnen zwei junge Frauen, Asiatinnen, die mit gesenkten Köpfen, den Blick abgewandt, aus dem Gebäude kamen. Louie wurde in einen Raum gezerrt und musste vor einem mit einem weißen Tischtuch bedeckten Tisch stehen bleiben, auf dem diverse Nahrungsmittel arrangiert waren. 12 Um den Tisch herum saßen japanische Offiziere in Paradeuniform und rauchten. Louie war nicht hierhergebracht worden, um hingerichtet zu werden; offenbar stand ein Verhör bevor.
    Die Offiziere nahmen tiefe Züge aus ihren Zigaretten und bliesen den Rauch in Louies Richtung. Hin und wieder öffnete einer eine Colaflasche, goss sich ein Glas ein und trank es langsam aus, wobei er genüsslich vorführte, welches Vergnügen ihm das bereitete.
    Der ranghöchste Offizier schaute seinen Gefangenen mit kaltem Blick an. Wie befriedigen amerikanische Soldaten ihre sexuellen Bedürfnisse?, fragte er. Louie antwortete, dass sie sie überhaupt nicht befriedigten – sie verließen sich auf ihre Willenskraft. Der Offizier zeigte sich amüsiert. Das japanische Militär, so seine Reaktion, versorgte seine Soldaten mit Frauen – ein Hinweis auf die Tausende von chinesischen, koreanischen, indonesischen und philippinischen Frauen, die vom japanischen Militär gekidnappt und sexuell versklavt wurden. 13 Louie musste an die beiden Frauen denken, die ihm draußen begegnet waren.
    Die Offiziere stellten Fragen zu Louies Flugzeug. Sie wussten, wahrscheinlich aus Louies Gesprächen mit den Offizieren auf dem ersten Atoll, dass es sich um eine B-24 handelte. Um welches Modell? Louie erinnerte sich an

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