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Unbeugsam

Unbeugsam

Titel: Unbeugsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Hillenbrand
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würde. Die Männer ließen eine mit Toilettenpapier gerollte Zigarette herumgehen, als zwei Wachen hereinplatzten und ihr
»Keirei!«
brüllten. Mit seinen Kameraden zusammen sprang auch Louie auf. Der Bird stürmte in den Raum.
    Mehrere Sekunden lang schaute er sich um. Er machte ein paar Schritte vorwärts, und Louie kam in sein Blickfeld. Der Korporal eilte den langen Raum hinunter und machte vor Louie Halt. Er trug den gewebten Gürtel, |294| den Louie an seinem ersten Tag in Omori an ihm bemerkt hatte. Die Schnalle war dick und breit und bestand aus schwerem Metall. Der Bird baute sich vor Louie auf, riss sich den Gürtel von der Hüfte und nahm das eine Ende fest in beide Hände. 15
    »Du endlich gefunden!«
    Der Bird ließ den Gürtel nach hinten schwingen, die Schnalle schleuderte am losen Ende durch die Luft. Er holte weit aus, als wollte er einen Hammerwurf vollführen, ließ den Gürtel nach vorne sausen, und dann knallte die Schnalle gegen Louies linke Schläfe und sein Ohr.
    Es war ein Gefühl, als habe er einen Kopfschuss bekommen. Obwohl er sich geschworen hatte, er werde es niemals zulassen, dass der Bird ihn zu Boden schlug, fegte die Kraft des Schlags und der anschließende entsetzliche Schmerz jede Widerstandskraft über den Haufen. Er schien keine Knochen mehr in den Beinen zu haben und sank zu Boden. Um ihn herum drehte sich der Raum.
    Louie lag benommen am Boden, sein Kopf dröhnte, Blut tropfte von seiner Schläfe. Als er wieder einigermaßen bei Besinnung war, kauerte der Bird über ihm und gab mitfühlende, fast mütterliche Laute von sich, eine Art
Ooooooch
. Er zog ein Stück Toilettenpapier aus seiner Tasche und schob es Louie sachte in die Hand. Louie drückte das Papier gegen seine Schläfe.
    »So, wird besser, ja?«, sagte der Bird mit sanfter Stimme.
    Louie richtete sich schwankend auf. Der Bird sah zu, wie Louie sich bemühte, sein Gleichgewicht wiederzufinden. Der beruhigende Tonfall und das Papier, das er ihm für seine Wunde gegeben hatte, kamen für Louie einer Offenbarung gleich: Es gab in diesem Menschen also doch eine mitmenschliche Ader. Die Erleichterung über diese Entdeckung fing gerade an, sich in seinem Inneren auszubreiten, als die Schnalle ein zweites Mal von den wirbelnden Armen des Bird weg an seinen Kopf knallte, genau an derselben Stelle, wo sie auch zuvor schon aufgekommen war. Ein fürchterlicher Schmerz zerriss Louies Kopf, sein Körper sackte wieder in sich zusammen. Er krachte zu Boden.
     
    Mehrere Wochen lang war Louie auf dem linken Ohr taub. Der Bird hörte nicht auf, ihn täglich zu schlagen. Wenn sein Angreifer auf ihn einprügelte, ertrug Louie es mit geballten Fäusten und lodernden Augen, doch allmählich gingen ihm die Angriffe an die Substanz. Der Korporal beherrschte zunehmend seine Träume, er hörte nicht auf ihn zu quälen, während sein Gesicht in perversem Entzücken leuchtete. Louie verbrachte viele Stunden im Gebet, er flehte Gott an, ihn zu retten. Er verlor sich in Fantasien, sah sich |295| durch ein Olympiastadion rennen und ein Podium besteigen. Und er dachte an sein Zuhause und stellte sich verzweifelt vor, welche Auswirkung sein Verschwinden auf seine Mutter hatte. Er hätte ihr so gern geschrieben, aber daran war nicht zu denken. Einmal hatte ein japanischer Offizier angekündigt, dass die Männer heimschreiben durften, und jeder im Lager schrieb Briefe an Eltern, Ehefrauen, Kinder und Verlobte. Als das dem Bird zu Ohren kam, bestellte er Commander Maher zu sich, händigte ihm die Briefe aus und zwang ihn, sie zu verbrennen. 16
    An einem Tag Mitte November saß Louie in seiner Baracke, als der Bird hereinkam und in Begleitung von zwei Japanern, die Louie nicht kannte, auf ihn zu ging. 17 Louie machte sich schon auf Prügel gefasst, doch die Fremden verhielten sich ihm gegenüber freundlich. Sie seien, so erklärten sie Louie, Produzenten bei Radio Tokio, und sie seien auf eine Nachricht gestoßen, die ihn ihrer Ansicht nach interessieren müsste. Sie gaben Louie einen Zettel. Louie las sich durch, was darauf geschrieben stand: Es war die Niederschrift einer Radiomeldung der National Broadcasting Company (NBC), mit der sein Tod bekanntgegeben wurde. Die Niederschrift war echt. Die Nachricht von Louies Tod, die man Juni ausgegeben hatte, war am 12. November, also in eben dieser Woche, bei den amerikanischen Medien angekommen.
    Die Männer von Radio Tokio stellten sich vor, dass Louie in ihr Studio kam, um über die Sendung
Postman

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