Unbeugsam
Einige Tage später traf ein Telegramm ein mit der Nachricht, Harvey sei verwundet worden. 21 Aus dem Telegramm gingen keine Details über die Art und die Schwere seiner Verwundung hervor. Ganz krank vor Angst wartete Sylvia auf weitere Informationen. Endlich kam dann ein Brief an, den Harvey von seinem Hospitalbett aus einer Krankenschwester diktiert hatte. Sein Panzer war getroffen worden und in Flammen aufgegangen. Es war ihm gelungen, das brennende Fahrzeug zu verlassen, allerdings hatte er Verbrennungen an den Händen und im Gesicht. Unter all den Schreckensszenarien, die Sylvia sich ausgemalt hatte, war Feuer das einzige, das ihr nie in den Sinn gekommen war. Harvey war doch schließlich ein Feuerwehrmann. Erschöpft und appetitlos schleppte Sylvia sich durch den November; nachts quälten sie Alpträume, und sie wurde immer magerer.
Am 20. November kam Lynn Moody, noch immer ganz außer sich vor Freude wegen der Nachrichten über Louie, die sie zwei Tage zuvor empfangen |299| hatte, wieder an ihren Arbeitsplatz zur Nachtschicht zurück. Um halb drei Uhr morgens rief ihr eine der Schreibkräfte von der FCC durch die Halle hindurch zu, sie solle schnell herüberkommen. Moody eilte zu ihr, setzte sich die Kopfhörer auf und lauschte. Es war wieder die Sendung
Postman Calls
. Der Sprecher sagte:
Hallo Amerika, ein neuer Aufruf des Postboten sendet, wie schon versprochen, im heutigen Abendprogramm eine Nachricht für Mrs. Louise Zamperini, 2028 Gramercy Street, Torrance, Kalifornien. Wir hoffen sehr, dass Mrs. Zamperini heute Abend zuhört, denn wir haben etwas ganz Besonderes für sie. Ihr Sohn ist eigens ins Studio gekommen, um ihr nach den Informationen, die das Kriegsministerium der Vereinigten Staaten vor wenigen Tagen über seinen Tod und seinen Vermisstenstatus verbreitet hat, die folgende beruhigende Nachricht zu übermitteln. Wir versichern Mrs. Zamperini, dass die Informationen des Kriegsministeriums nicht zutreffend sind. Die nächste Stimme, die Sie zu hören bekommen, ist diejenige von Oberleutnant Louis Helzie [sic] Zamperini von der United States Air Force, gegenwärtig interniert in einem Lager in Tokio. Sie sind an der Reihe, Leutnant Zamperini.
Die Stimme eines jungen Mannes erklang über den Äther. Moody wusste bei den ersten Worten, die sie hörte: Das war wirklich Louie. 22
Hallo liebe Mutter, lieber Vater, liebe Verwandte und Freunde. 23 Hier spricht euer Louie. Die Behörden hier haben es mir freundlicherweise ermöglicht, diese persönliche Botschaft über den Rundfunk zu verbreiten.
Es ist das erste Mal seit zweieinhalb Jahren, dass Ihr meine Stimme hört. Ich bin sicher, dass sie genauso klingt wie damals, als ich von zu Hause aufgebrochen bin.
Ich bin unverletzt und gesund und kann es kaum erwarten, bis wir endlich wieder zusammen sind. Ich habe seit meiner überstürzten Abreise nichts von Euch gehört, daher mache ich mir schon ein wenig Sorgen wegen Eurer Gesundheit. Ich hoffe, dass diese Botschaft Euch alle gesund und munter antrifft.
Ich bin gegenwärtig in einem Gefangenenlager bei Tokio interniert und werde so gut behandelt, wie man es unter diesen Kriegsumständen erwarten kann. Die Lagerleiter verhalten sich mir gegenüber freundlich, von Tritten bleibe ich verschont.
Bitte schreibt mir so oft Ihr könnt und legt mir Bilder von Euch bei. Nichts würde mich in meinen einsamen Stunden mehr freuen, als mir Bilder von der Familie anzuschauen.
Bevor ich es vergesse, Dad: Ich wäre Dir dankbar, wenn Du meine Gewehre gut instand hältst, damit wir ein paar schöne Jagdausflüge zusammen unternehmen können, wenn ich wieder daheim bin.
Mutter, Sylvia und Virginia, ich hoffe, Ihr praktiziert nach wie vor Eure |300| fantastischen Kochkünste. Ich stelle mir oft ganz plastisch Eure wunderbaren Pies und Kuchen vor.
Kann Pete Euch immer noch jede Woche von San Diego aus besuchen? Ich hoffe, dass er noch in der Nähe von unserem Elternhaus lebt.
Grüßt Gorton [sic], Harvey, Eldon [sic] und Henry ganz herzlich von mir; sie sollen auf sich Acht geben. Sylvia, Virginia und Pete schicke ich liebe Grüße, ich hoffe, sie haben Jobs, mit denen sie zufrieden sind. Ich vermisse sie sehr.
In den Monaten, seit ich jetzt in Japan bin, habe ich ein paar alte Bekannte getroffen. Wahrscheinlich erinnert Ihr Euch auch an den einen oder anderen.
William Harris, der stattliche Marinesoldat aus Kentucky, ist hier und bei guter Gesundheit; ebenso Lorren Stoddard, Stanley Maneivve
Weitere Kostenlose Bücher