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Unbeugsam

Unbeugsam

Titel: Unbeugsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Hillenbrand
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loszulassen.
     
    Gegen Ende des Jahres 1948 lag Louie eines Nachts im Bett, neben ihm Cynthia. Er tauchte in einen Traum ab, und der Bird baute sich über ihm auf. Der Gürtel sauste durch die Luft, Louie fühlte, wie die Schnalle gegen seinen Kopf krachte, fühlte den Schmerz wie einen Blitz in seine Schläfe einschlagen. Der Gürtel wirbelte, links, rechts, peitschte auf Louies Kopf ein. Louie erhob seine Hände zur Kehle des Bird, sie schlossen sich um seinen Hals. Jetzt war Louie über dem Bird, und die beiden droschen aufeinander ein.
    Irgendjemand schrie – Louie? Der Bird? Louie kämpfte weiter, verbissen darum bemüht, alles Leben aus dem Bird herauszuquetschen. Und dann veränderte sich auf einmal alles. Louie, der über dem Bird kniete, schaute nach unten. Die Gestalt des Bird verschwamm.
    Louie kauerte über Cynthia, es war ihr Hals, den seine Hände umklammerten. Aus ihrer zugeschnürten Kehle drangen erstickte Schreie. Louie war im Begriff, seine schwangere Frau zu erwürgen.
    Er ließ entsetzt los und rückte von ihr ab. Sie zuckte zurück, rang nach Luft, weinte laut. Im Dunkeln saß er fassungslos neben ihr, sein Schlafanzug war schweißdurchtränkt. Zu schweren Stricken zusammengeknüllt lagen um ihn herum die Bettlaken.

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Louie nach dem Krieg
    Die kleine Cynthia Zamperini, kurz Cissy genannt, kam zwei Wochen nach Weihnachten zur Welt. Louie war so hingerissen von ihr, dass niemand außer ihm sie halten durfte; die Arbeit des Wickelns besorgte er ganz allein. Aber auch sie schaffte es nicht, ihn aus seiner Alkoholsucht oder seiner mörderischen Besessenheit zu befreien. Unter den verschärften Bedingungen von Stress und Schlafmangel, die ein Neugeborenes mit sich bringt, gingen Louies und Cynthias erbitterte Streitereien pausenlos weiter. Als Cynthias Mutter zu Besuch kam, um zu helfen, brach sie in Tränen aus, als sie den Zustand der Wohnung sah. Louie trank hemmungslos.
    Eines Tages kam Cynthia nach Hause und traf Louie an, der eine brüllende Cissy gepackt hielt und heftig schüttelte. Mit einem Schrei riss sie ihm |425| das Baby weg. Louie, erschüttert über das, was er getan hatte, ließ sich ein ums andere Mal volllaufen. Und Cynthia hatte jetzt endgültig genug. Sie rief ihren Vater an, der ihr das für ihre Rückkehr nach Miami nötige Reisegeld schickte. Sie war fest entschlossen, die Scheidung einzureichen.
    Cynthia packte ihre Sachen zusammen, nahm das Baby und verließ die Wohnung. Jetzt war Louie allein. Ihm blieb nur noch der Alkohol und sein Groll, die Emotion, die, wie Jean Améry es später formulieren sollte, »jeden von uns fest ans Kreuz seiner zerstörten Vergangenheit nagelt«. 3
     
    Auf der anderen Seite der Welt saß Shizuka Watanabe an einem Herbstabend im Jahr 1948 im Erdgeschoss eines zweigeschossigen Restaurants in Tokios Shinjuku-Distrikt. Auf der Straße draußen wimmelte es von Menschen. Shizuka hatte ihren Blick auf die Eingangstür gerichtet und beobachtete die vorübereilenden Passanten.
    Und plötzlich sah sie ihn. 4 In der Tür, den Blick fest auf sie gerichtet, stand ihr toter Sohn.

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Ein neuer Tag beginnt
    A n einem eisigen Herbstmorgen des Jahres 1950 ging Louie auf einer langen, geraden Straße auf einen Komplex nüchterner Gebäude zu. 1 Als er sich dem Torbogen näherte, der den Eingang zu dem Gebäudekomplex markierte, zitterte er am ganzen Körper. Auf dem Bogen standen die Worte SUGAMO-GEFÄNGNIS geschrieben, und dahinter warteten Louies Gefangenenwärter. Nach langen Jahren war Louie nach Japan zurückgekehrt.
    Das Jahr, das seit dem Abend vergangen war, als er zum ersten Mal Billy Grahams Zelt betrat, hatte Louie damit zugebracht, ein Versprechen einzulösen. Er hatte ein neues Leben als christlicher Redner angefangen und erzählte seine Geschichte im ganzen Land. Das brachte ihm bescheidene Honorare und Erträge aus Kollekten, mit denen er seine Rechnungen bezahlen und für 150 Dollar einen gebrauchten DeSoto kaufen konnte, wodurch endlich ein Ersatz für den Wagen gefunden war, den er damals als Kreditsicherheit verloren hatte. Er konnte gerade genug Geld zusammenkratzen, dass es für eine Anzahlung auf ein Haus reichte, doch er war nach wie vor so arm, dass das einzige Möbelstück Cissys Kinderbett war. Louie bereitete die Mahlzeiten auf einer Einzelkochplatte zu, und er und Cynthia schliefen in Schlafsäcken in der Nähe des Kinderbetts. Sie kamen nur knapp über die Runden, aber das Band zwischen ihnen hatte sich erneuert und

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