Unbeugsam
verstärkt. Sie waren selig miteinander.
In den ersten Jahren nach dem Krieg war Louie von dem Gedanken besessen, nach Japan zurückzukehren, um den Mann umzubringen, der ihm das Leben zur Hölle gemacht hatte. Jetzt aber hegte er keinerlei Mordgedanken mehr. Er war nicht hergekommen, um sich zu rächen, sondern um eine Frage zu beantworten.
Louie hatte erfahren, dass sämtliche Männer, die ihn gequält hatten, verhaftet und verurteilt worden waren und jetzt hier in Sugamo einsaßen. Er konnte ganz frei von Bitterkeit über seine Peiniger sprechen und an sie denken, doch ließ ihn eine Frage nicht los: Falls er sie je wiedersehen sollte, würde sein innerer Friede auch dann Bestand haben? Mit einer gewissen Beklommenheit hatte er den Entschluss gefasst, nach Sugamo zu gehen und diesen Männern gegenüberzutreten.
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Louie in Sugamo
Am Abend zuvor hatte Louie an Cynthia geschrieben und ihr mitgeteilt, was er vorhatte. Er bat sie, für ihn zu beten.
Die ehemaligen Wachen, 850 an der Zahl, saßen im Schneidersitz auf dem Boden eines großen, kahlen Gemeinschaftsraums. Louie stand an der Stirnseite des Raums und ließ seinen Blick über die Gesichter schweifen.
Zunächst erkannte er niemanden. Dann sah er in einer der hinteren Reihen ein Gesicht, das er kannte, dann noch eines, und noch eines: Curley, das Wiesel, Kono, Jimmie Sasaki. Und da war auch der Quacksalber, der ein Gesuch eingereicht hatte, sein Todesurteil in lebenslange Haft umzuwandeln. Als Louie ihn sah, dachte er an Bill Harris.
Ein Gesicht fehlte: Der Bird war nirgends zu sehen. Als Louie seinen Begleiter nach Watanabe fragte, erfuhr er, dass dieser nicht in Sugamo war. Über fünf Jahre hatten Tausende Polizisten ganz Japan nach ihm abgesucht – vergeblich.
Als Louie seine Sachen gepackt hatte, um nach Japan aufzubrechen, war im Leben Shizuka Watanabes der lang ersehnte Tag angebrochen: der 1. Oktober 1950, an dem ihr Sohn sich, wie er versprochen hatte, mit ihr treffen wollte, wenn er noch am Leben war. Er hatte ihr aufgetragen, sich in den Shinjuku-Bezirk in Tokio zu begeben, wo er sich im selben Restaurant mit |438| ihr treffen wollte, in dem sie sich auch das letzte Mal, vor zwei Jahren, gesehen hatten. Um 10.05 Uhr vormittags sah die Polizei Shizuka einen Zug besteigen, der nach Shinjuku fuhr. 2 Im Restaurant tauchte Mutsuhiro dann offenkundig nicht auf.
Shizuka fuhr nach Kofu und nahm in einem Hotel ein Zimmer für sich allein, Besucher empfing sie nicht. Vier Tage lang streifte sie durch die Stadt. Dann verließ sie Kofu plötzlich wieder, ohne ihre Hotelrechnung zu bezahlen. Die Polizei kam in das Hotel, um mit der Chefin zu sprechen. Sie fragten sie, ob Shizuka ihren Sohn erwähnt habe, und sie bejahte.
Mutsuhiro, so Shizuka, sei schon gestorben. 3
Wie es in Japan bei Familien üblich ist, die um ein verlorenes Familienmitglied trauern, hatte Shizuka in einer Ecke des Wohnzimmers in ihrem Haus einen kleinen Schrein für Mutsuhiro errichtet. 4 Jeden Morgen legte sie dort eine Opfergabe in Erinnerung an ihren Sohn nieder.
In Sugamo fragte Louie seinen Begleiter, was mit dem Bird geschehen war. Er erfuhr, dass man davon ausging, der ehemalige Sergeant – verfolgt, verbannt und verzweifelt – habe sich umgebracht. 5
Die Worte ließen Louie seltsam unberührt. Im Gefangenenlager hatte Watanabe ihn zu einem Leben unvorstellbarer Erniedrigung und Gewalt gezwungen. Dieser Mann hatte ihm seine Würde geraubt, und Louie war nach Hause zurückgekehrt in ein Leben, das sich in der Dunkelheit verlor; unablässig hatte er sich in der Erinnerung an den Bird aufgerieben. In einer Oktobernacht in Los Angeles jedoch war für Louie, wie Payton Jordan es ausdrückte, »der Tag angebrochen«. In dieser Nacht war das Gefühl von Scham und Ohnmacht verschwunden, das seinem Bedürfnis zugrunde lag, den Bird zu hassen. Der Bird war nicht mehr länger sein Dämon. Er war nur ein Mensch.
Als Louie im Sugano-Gefängnis hörte, was mit Watanabe geschehen war, sah er nur noch eine verlorene Person, ein Leben, das jetzt für Erlösung nicht mehr zugänglich war. In ihm stieg ein Gefühl auf, das er für seinen Peiniger nie zuvor empfunden hatte. Erstaunt stellte er fest: Es war Mitleid.
Und gleichzeitig regte sich etwas ganz sachte in ihm: Vergebung, wunderbare, anstrengungslose, vollständige Vergebung. Für Louie Zamperini war der Krieg zu Ende.
Bevor Louie von Sugamo wieder aufbrach, forderte der Colonel, der ihn begleitete, Louies
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