Uncharted - Das vierte Labyrinth
erwachen, die sie alle ergriffen hatte.
Der alte Grieche, der eines seiner Kinder überlebt hatte, blieb am Eingang zurück, um Wache zu stehen. Die Trauer um seinen toten Sohn war ihm deutlich anzusehen, aber er hielt seine Pistole entschlossen in der Hand, und seine Augen brannten förmlich. Er wollte , dass noch mehr der vermummten Gestalten auftauchten. Drake hatte diesen Blick schon bei vielen verzweifelten Männern gesehen. Der Verlust schmerzte ihn so sehr, dass er so lange kämpfen und töten wollte, bis es nicht mehr wehtat oder bis er starb und seinem Schmerz so ein Ende machte. Es war vermutlich das Beste, dass er am Eingang blieb. Bei dieser allesverzehrenden Wut konnte man schnell vergessen, wer der Feind war und wer nicht.
„China“, sagte Henriksen. Er schüttelte den Kopf. „Dort hätte ich ganz bestimmt nie gesucht.“
„Sie haben dich am Leben gelassen?“, fragte Jada an ihre Stiefmutter gewandt. Was sie damit meinte, war offensichtlich: Sie wünschte sich, die Vermummten wären gründlicher gewesen.
Olivia zuckte zusammen, und der wohlwollende Gesichtsausdruck, mit dem sie sich Jada genähert hatte, zerbröckelte kurz. Darunter schimmerten einen Moment lang bösartige Intelligenz und Hass hervor, dann war sie wieder die Unschuld in Person. Doch Drake hatte diesen kalten, berechnenden Ausdruck in ihren Augen gesehen, und er war sich sicher, dass das die echte Olivia war. Er beschloss, noch vorsichtiger zu sein. Die Pistole hatte er unverändert in der Hand, und auch der Grieche und der Gartenzwerg hielten ihre Waffen, wobei sie sie auf den Boden richteten. Die Aussicht auf eine Schießerei ließ die Stimmung in der Kammer noch explosiver werden. Jedes nächstgesprochene Wort könnte der Zündfunke sein.
„Wir haben sie zurückgeschlagen“, erklärte Olivia mit sanfter Stimme. „Nico hat einen seiner Söhne verloren. Einer von Tyrs besten Männern ist auch tot.“
Drake vermutete, dass sie den Kerl mit dem Kurzhaarschnitt meinte, und Nico war dann wohl der Grieche.
„Wir haben auch jemanden verloren“, sagte er.
Das ließ Henriksen aufblicken, und im Licht der Taschenlampen wirkten seine blauen Augen noch blasser. „Sullivan ist vielleicht noch am Leben. Falls sie ihn töten wollen, warum haben sie es dann nicht gleich getan? Er hat ihre Flucht nur behindert.“
Drake klammerte sich an denselben Gedanken, aber um nichts in der Welt wollte er Henriksen recht geben, also nickte er nur langsam und verengte die Augen.
„Was nun?“, fragte er dann. „Diese Kerle haben die Angewohnheit, mit Verstärkung zurückzukommen. Wir haben sie vielleicht in die Flucht geschlagen, aber ich bin mir sicher, dass sie alles tun werden, um zu verhindern, dass wir das vierte Labyrinth erreichen.“
Tyr Henriksen lächelte und entblößte dabei zwei Reihen kleiner, scharfer Zähne. Trotz seiner gefälligen Züge erinnerte er in diesem Moment mehr an einen Hai als an einen Menschen.
„Ich bin Geschäftsmann, Mr. Drake, und ein erfolgreicher obendrein. Das bedeutet, ich bin daran gewöhnt, dass gewisse Menschen mich am liebsten tot sehen möchten.“
Drake zögerte. Sein Herzschlag pochte in seinen Schläfen, und sein Atem ging in kurzen, wütenden Stößen. Die Waffe in seiner Hand schien zu vibrieren und ihn voll mörderischem Eifer darum zu bitten, den Abzug zu drücken, damit sie endlich ihr blutiges Werk verrichten konnte. Henriksen hatte weder Luka noch Cheney auf dem Gewissen, und er hatte auch Sully und Welch nicht entführt. Aber irgendjemand hatte Lukas Wohnung in Brand gesteckt und Jada in New York einen Haufen Totschläger auf den Hals gehetzt. Die Vermummten schienen nicht allzu viel von Schusswaffen zu halten, und es war offensichtlich, dass Henriksen durchaus für einen Mord zu haben war, wenn es absolut notwendig wurde. Doch was bedeutete das für ihn und Jada?
Henriksen musterte ihn eingehend. Seine anfängliche Faszination für die chinesische Gebetskammer schien erst einmal in den Hintergrund gerückt zu sein. Der sogenannte Geschäftsmann musste Drake die Unentschlossenheit an den Augen abgelesen haben – gemeinsam mit seinem Wunsch, seine Wut in Gewalt umzuwandeln – , denn er machte einen Schritt auf ihn zu, sodass sie sich nun direkt gegenüberstanden.
Henriksen nickte seinen Männern zu, und sie steckten ihre Pistolen weg. „Mr. Drake“, sagte er dann, „Sie können Ihre Waffe jetzt runternehmen. Die Gefahr ist vorbei.“
„Ist sie das, ja?“, fragte Jada, ohne den
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