Und da kam Frau Kugelmann
mit Parkanlagen und Hauptstraßen hat es doch zu Dutzenden im Vorkriegspolen gegeben. Mein Vater stammte auch aus so einer Kleinstadt. Sie kann nicht so sehr viel anders gewesen sein. Er kam übrigens aus Kalisz. Kennen Sie Kalisz?«
»Ja, ich kannte einige Leute aus Kalisz, die bei uns ansässig geworden sind«, antwortet sie knapp. »Kalisz hält dem Vergleich mit Bendzin nicht stand, denn Bendzin war keine gewöhnliche Stadt. Allein schon die Parkanlage war einzigartig für eine Stadt dieser Größe. Die Parkanlage um die Burg vom König Kazimierz war halb so groß wie Bendzin. Und das Eis, das wir im Sommer unter den schattigen Bäumen aus bunten Bechern löffelten, war so köstlich, weil es vom Bäcker Süßmann in der Kollontajastraße angefertigt wurde, und kein Bäcker in ganz Polen hat Napoleonkes und Mohrenköpfe besser als er gebacken.«
»Hören Sie auf, Ihre Stadt zu verherrlichen«, sage ich verärgert.
»Ich erzähle Ihnen, wie es war.«
»Gibt es denn nur Schönes zu berichten?«
»So war Bendzin«, antwortet sie leise.
»Also eine Stadt, in der nur Engel lebten?«
»Engel nicht, aber eben Bendziner.«
»Gab es keinen Mord, keine Verbrechen, keine Doppelmoral? Ist man von Bendzin in andere Städte gereist, um woanders das Schlechte zu verrichten, zu saufen, zu huren und zu stehlen?«
»Begreifen Sie doch endlich, es gibt über Bendzin nichts Schlechtes zu berichten, und wenn, dann müsste man es erfinden«, sagt Frau Kugelmann außer sich. Dann steht sie auf, schlägt die Tür hinter sich zu, verschwindet ohne ein Wort des Abschieds. Ich ziehe meinen Bademantel über und renne auf den Flur in großer Sorge, sie ein für alle Mal vertrieben zu haben, aber sie ist schon viel zu weit weg, und ich bleibe alleine zurück.
Sie soll endlich mit der Wahrheit herausrücken. Sie soll mir nicht vorgaukeln, dass es im früheren Polen nur glückliche Zeiten gab! Ich will Böses über ihre Stadt hören! Meine eigene Zeitrechnung von Polen beginnt mit den Worten: Arbeitspapiere, Judenrein, Deportation. Wenn ich von einem polnischen Sportplatz höre, denke ich sofort an den Sammelpunkt für die anstehende Deportation. Ist von einem polnischen Wald die Rede, sehe ich verlassene Erdlöcher, ausgehobene Verstecke und Erschießungen an Ort und Stelle. Hat es einst etwas anderes gegeben als diesen Krieg? Lebte Bella Kugelmann als fröhliche Jugendliche in einer sicheren Stadt? Eine trügerische Sicherheit, die bald mit dem Tod bestraft wurde! Schöne Geschichten aus Polen? Nur nicht weich werden und daran glauben! Ich darf Frau Kugelmann nicht auf den Leim gehen, so sehr ich mich nach schönen Geschichten aus der guten Zeit meiner Eltern sehne, von der sie mir nie erzählt haben.
In der Nacht weckt mich ein schwerer Rückfall. Ich habe mich noch nicht einmal ankleiden können, bin lediglich in die Schuhe geschlüpft, habe noch Zeit gefunden, das Album zu zertrampeln. Im Vorbeirennen habe ich hastig auf den Fluchtplan geschaut, um auf dem schnellsten Weg in die Küche zu finden. Schluchzend sperre ich die Gefriertruhe auf und fege mit einer einzigen Handbewegung alle Pakete aus dem Regal. Ich bücke mich, um sie aufzuheben, und presse sie vor Freude fest an mich. Das Feuer der Kälte verbrennt mir fast die Haut. Kaum noch Herr meiner Sinne, zerreiße ich die Pakete mit zittrigen Händen und schütte mir den Inhalt über den Kopf, fange mit dem Mund Bohnen, Spinat oder ein Maiskörnchen auf. Wie habe ich sie vermisst, meine eisigen Gefährten. Wieder und wieder schnappe ich nach dem Gemüse, bis die Hotelküche sich wie ein Karussell zu drehen beginnt und ich in einer Ohnmacht versinke.
Am nächsten Morgen wache ich in meinem Hotelzimmer auf, Koby ist bei mir und tröstet mich. DaudDavid hat mich um fünf Uhr früh, zu Beginn seiner Arbeitsschicht, gefunden, inmitten der aufgerissenen Pakete, tief schlafend. Zunächst hat er an eine Unterzuckerung gedacht, meine Fingerkuppen untersucht und nirgends an meinem Körper Einstichspuren gefunden. Koby, der im Hotel auf Fahrgäste wartete, hat ihm geholfen, mich auf das Zimmer zu tragen. Viele Gäste vertragen die Sommerhitze in Tel Aviv nicht und suchen Kühlung am falschen Ort. Vielleicht wäre es besser, ich reiste zurück in den Norden und käme im Oktober wieder, wenn die Temperaturen erträglich sind. Nach seinem Dienst will er mich noch einmal aufsuchen und mir das Kälteste mitbringen, was er in der Hotelküche finden kann.
Als er das Zimmer verlässt, wird
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