Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minka Pradelski
Vom Netzwerk:
kostet!‹ Er wolle nicht zur Schulleitung gehen, und um die Befreiung vom Schulgeld betteln zu müssen, das wäre eine Schande für die ganze Familie. Mit gesenktem Kopf schlich Mietek aus dem Zimmer. Der Vater hatte wegen ihm schon Ärger genug. Er hat sich mit seinem eigenen Vater, Mieteks Großvater, wegen der Erziehung sehr herumschlagen müssen.
    Der Großvater hieß Pinkas Dreiblatt und war ein strenggläubiger Mann. Er wehrte sich gegen eine Einschulung in unser Gymnasium, vielmehr verlangte er, dass sein erstgeborener Enkel eine Jeschive besuche, um aus den Büchern der Weisen zu lernen. Er beschimpfte seinen Sohn auf das Fürchterlichste:
    ›Du wirst aus ihm noch einen Goi machen, aus meinem einzigen Enkelsohn!‹, schrie Pinkas wutschäumend.
    ›Nein, einen Goi mach ich nicht aus ihm, er bleibt ein Jude, aber er wird anders sein als wir, er wird in die neue Welt passen, und wir beide werden es noch mit eigenen Augen erleben, wie ein Staat der Juden entsteht, und für diesen Staat brauchen wir Ingenieure, Ärzte und Wissenschaftler und keine Händler und Kleinkrämer, wie wir beide es sind. Deswegen wird Mietek etwas lernen, was ihn weiterbringt.‹
    Der Vater hat mit dem Großvater nach dem monatelangen Streit ein Abkommen ausgehandelt, Mietek dürfe ins Gymnasium gehen, solle dafür aber Samstagnachmittag zum Großvater ins Wohnzimmer kommen, um mit ihm die Sprache der Väter zu erlernen.
    Damit Mietek pünktlich zur Schule kam, erließ ihm der Vater das Tfillimlegen, das Umbinden der Gebetsriemen beim Morgengebet, nur das Schma Israel musste der Mietek aufsagen, all das hat der Großvater nicht wissen dürfen. Einmal schöpfte der Großvater Verdacht und legte ein paar Münzen in das samtene Kästchen, in dem Mieteks Tfillim lagen. Frühmorgens lauschte er mit dem Hörrohr an Mieteks Zimmertür, ob die Münzen auch ordentlich klingelten. Nach ein paar Tagen der verdächtigen Stille überprüfte er das Kästchen und stellte zu seinem Entsetzen fest, dass die Münzen unverändert darin lagen, blinkend und sauber, einmal Kopf und einmal Zahl, nicht verschoben und von keiner Hand berührt.
    Es gab einen kurzen heftigen Streit, danach sprachen Vater und Großvater nicht mehr miteinander, obwohl sie freitagabends gemeinsam am Esstisch saßen. Mietek saß zitternd zwischen den Vätern und wagte nicht, das Wort an sie zu richten. Die Großmutter sprach mit dem Großvater und Mieteks Vater mit seiner Frau, und die beiden Frauen redeten untereinander. Die beiden Streithälse haben sich über ihre Ehefrauen nur das Allernotwendigste mitgeteilt. Das wütende Schweigen der starrköpfigen Väter fand erst nach einem guten halben Jahr sein Ende, als der Großvater an einem Freitagabend, an dem die Großmutter krank zu Bette lag, den Sohn versehentlich um das Salzfässchen bat. Von diesem Abend an saßen die beiden Männer wieder friedlich nebeneinander!
    Mietek und sein bester Freund Fettauge saßen während der ganzen Schulzeit nebeneinander. Oft heckten wir zu viert Streiche aus und wurden gemeinsam bestraft, wobei der schöne Adam trickreich versuchte, die Strafe zu umgehen. Einmal wurden wir vier in das Laboratorium für Naturkunde gebracht und sollten in diesem abgeschlossenen Raum unsere Strafarbeiten machen. Ich habe gleich brav mit dem Abschreiben begonnen, während Fettauge, Mietek und Adam mit dem Skelett einen feurigen Tango tanzten, dass die Knochen nur so klapperten, dann mit dem Globus Fußball spielten, anschließend kam die Mondkugel dran und dann die Sonne, bis der Direktor, durch den Lärm aufmerksam geworden, das Laboratorium betrat, die Strafarbeiten verdoppelte und donnernd mit einem Rausschmiss drohte. Ich habe aus Sorge, Adam müsste die Schule verlassen, an diesem Vormittag gewissenhaft seine Strafarbeiten übernommen, sehr zum Verdruss von Fettauge und Mietek, die fluchend bis zu den frühen Abendstunden ihre Aufgaben lösten, während sich Adam, ohne mit der Wimper zu zucken, kaltlächelnd von uns verabschiedete und nach Hause ging.
    Fettauge, der vierte in unserem Bunde, hieß eigentlich Moniek. Er war dürr, mit überlangen Armen und Beinen, und blickte uns aus seinen lebhaften silbergrauen Augen freundlich an, wurde aber trotzdem von uns allen Fettauge genannt. Er störte sich nicht daran. Wer einmal in seiner schönen Wohnung zum Mittagessen eingeladen war, sah mit Erstaunen, wie Moniek aus der kräftigen Fleischsuppe nur die gelblich weißen Fettaugen herausfischte und sie

Weitere Kostenlose Bücher