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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minka Pradelski
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Unterricht. Niemand hätte mich von meiner schönen Aussicht vertreiben können. Sogar die große Enttäuschung der Eltern habe ich auf mich genommen, als ich im Gründungsjahr unseres Sportvereins gemeinsam mit Adam die Klasse wiederholen musste.
    Als eines schönen Nachmittags der Sportverein Rapid von dem Industriellensohn Fettauge gegründet wurde, da blieben gleich im ersten Jahr die hinteren Reihen, der Gründer selbst, Pechvogel Mietek und mein schöner Adam, sitzen. In diesem und im darauf folgenden Jahr blieb der gesamte Vorstand des Sportvereins sitzen, Fettauge sogar fast ein zweites Mal, so viel gab es mit dem Aufbau der Organisation zu tun. Für die Handballmannschaft, die Schlittschuhläufer, das Staffelrennen und viele andere wichtige Disziplinen galt es, eigene Abteilungen aufzustellen mit einem Vorsitzenden, einem Sekretär und einem Kassenwart, und all das, bevor der Rapid auch nur ein einziges eingeschriebenes Mitglied hatte. Und die Mitgliedsausweise des Rapid, extra angefertigt und vom Vorsitzenden eigenhändig unterschrieben, wurden in so hoher Zahl ausgestellt und abgestempelt, als ob ganz Bendzin in den Sportverein eintreten wolle.
    Das erste erfolgreich angeworbene Mitglied war übrigens Marysia Teitelbaum, und deren feierliche Aufnahme fand in der Wohnung von den Teitelbaums statt, weil der Teitelbaum als vermögender Kaufmann ein großes Wohnzimmer hatte, das die Erwachsenen gerne für politische Versammlungen nutzten. Der arme Pudel Keitusch musste mit ansehen, wie seine Peiniger Marysia eine Mitgliedskarte überreichten, und Marysia drückte die Peiniger vom Keitusch aus Dankbarkeit ganz fest an sich, mit Tränen in den Augen wegen der Feierlichkeit und der hohen Ehre, in diesem Verein das erste Mitglied der Mädchenabteilung zu sein. Dann unterschrieb sie vor den Augen des gesamten Vorstands mit ihrem wertvollen Füller, einem Mont Blanc, die Mitgliedskarte, ganz langsam, in schön geschwungenen, gut lesbaren Buchstaben.
    Unser Rapid wurde nach dem renommierten gleichnamigen Sportclub in Wien benannt. Wir aber träumten vom Bendziner Sportverein Hakoach, berühmt vor allem wegen seiner siegreichen Fußballmannschaft. In den wollte der Rapid als Ganzes eintreten, eine eigene separate Sportabteilung im Hakoach bilden, aber bitteschön nur mit Übernahme des gesamten aufgeblähten Verwaltungsapparats, da wollte der Rapid nicht einen Mann verlieren! Und wir träumten von richtigen Sportstiefeln! Die aber hatte der Sportclub Skif. Dort gaben die Bundisten, Arbeiter, Handwerker und deren Söhne den Ton an, in Jiddisch, was von uns kaum einer verstand, und deswegen wurde dem Industriellensohn Fettauge und dem gesamten Rapid aus Klassenhass der Zutritt verweigert.
    Die Revolution fand aber in Bendzin nicht statt, und beim großen sportlichen Defilee des Hakoach, anlässlich der Eröffnung eines neuen Fußballfelds, durfte der Rapid als neuer Sportclub mitmarschieren, ja sogar in den prächtigen proletarisch-bundistischen Stiefeln! Wie das kam? Der schlaue Gonna hatte die zündende Idee, den Schneidermeister Stopnizer, der unsere Schuluniformen nähte, um Fürsprache zu bitten. Der Schneidermeister war ein Bundist und ein sportbegeisterter Jugendführer. Er hat seinen Einfluss geltend gemacht, und wir durften uns die Sportstiefel ausleihen. Die waren von höchster Qualität und aus komfortablem Leder, von den eigenen Mitgliedern sorgsam in der Freizeit angefertigt. Stopnizer begleitete unsere Jungen sogar in das feindliche bundistische Warenlager und half ihnen bei der Auswahl der kostbaren Stiefel.
    Der Rapid durfte in eigenen Phantasieuniformen die diversen Sportdisziplinen vorführen, Kunststückchen auf dem Rad oder zu Fuß im Laufschritt nach vorn. Der hitzköpfige Romek Ziegler, Fettauges Vater, konnte vor Stolz nicht an sich halten und schrie ganz laut über das ganze Feld hinweg: ›Da schaut her, Bendziner, schaut ganz genau hin, Bendziner, da vorne marschiert unsere Zukunft!‹«
    »Unsere Zukunft!« Den ganzen Nachmittag ging mir Romek Zieglers Ausruf nicht aus dem Sinn. Wie ahnungslos er war! Wie schrecklich er sich geirrt hatte! Hoffentlich hat er den Tod seines eigenen Sohnes nicht mit ansehen müssen!
    Was verbirgt sich noch Schreckliches hinter Frau Kugelmanns idyllischem Kinderalltag? Wie sehr, denke ich, schönt sie ihre Stadt?
    »Was ist denn schon so Besonderes an Bendzin«, bestürme ich sie gleich am nächsten Morgen, als sie mein Zimmer betritt.
    »Solche Kleinstädte

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