Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minka Pradelski
Vom Netzwerk:
bildeten sich harte steinerne Beulen, bis ihr ganzer Körper unter einer Hornhaut aus Stein verschwand. Und so hat sich Golda in einen Stein verwandelt, genau wie der Vater es vorausgesagt hatte. Ob auf dem Stein, ganz zart auf der obersten Schicht, bei Tageslicht Hammer und Sichel zu sehen waren, so wie Golda es sich gewünscht hatte, darüber können wir nichts aussagen.
    Von der Gefängnisleitung vergessen, überlebte die versteinerte Golda in ihrer winzigen Zelle den Krieg. Die Deutschen haben Golda bei einer Judenrazzia im Gefängnis auf keiner Liste vorgefunden und bei der Durchsuchung der Zellen den kleinen unscheinbaren Stein ganz einfach übersehen. Alle inhaftierten Mitglieder von Goldas geheimer Zelle wurden noch auf dem Gefängnishof an die Wand gestellt und liquidiert.
    Erst nach einem längeren Aufenthalt in einem Lazarett der Roten Armee fiel die steinerne Hornhaut von Golda ab. Nur Goldas linker Arm ist steinhart geblieben, keine noch so gute Pflege konnte ihn ins Leben zurückbringen.«
    »Glauben Sie an eine Vorbestimmung?«, frage ich zaghaft.
    Frau Kugelmann ist gerade dabei, die Riemchen ihrer Sandalen zu schließen und die leere Wasserflasche in ihre Basttasche zu packen.
    »Sie meinen Golda?«, fragt sie und blickt auf.
    »Ja«, antworte ich.
    »Für Golda war der väterliche Satz richtungsweisend«, sagt sie und blickt mich an.
    »Glauben Sie, dass jeder von uns einen vorbestimmten Weg geht?«, frage ich.
    »Ja«, antwortet Frau Kugelmann betont langsam und ihre Augen füllen sich mit Tränen. »Ich habe den Krieg überlebt, um zu erzählen.«
    »Und ich«, sage ich unsicher lachend, um ihre Stimmung aufzuhellen, »bin auf die Welt gekommen, um Ihnen zuzuhören.«
    »Sie müssen erst noch Ihren eigenen Weg finden«, sagt Frau Kugelmann trocken. Sie steht schnell auf, als habe sie zu viel gesagt. Sie streicht ihr Kleid glatt, wendet sich zu mir und verabschiedet sich zum ersten Mal mit einem festen Handschlag. Ich spüre ihre kleine fleischige Hand in der meinen. Wie warm sie ist. Sie entzieht sie mir, als ich sie festhalten will. Morgen, sagt sie, käme sie zur gewohnten Zeit wieder, und verlässt eilig mein Zimmer.
    Was meint Frau Kugelmann? Welchen Weg soll ich finden? Unruhig laufe ich hin und her. War das einfach nur so dahergesagt? Oder gibt es tatsächlich einen vorbestimmten Weg, den ich noch nicht gefunden habe? Wo ist er? Sähe mich jetzt die andere Silberberg, so würde sie sich an meiner Ratlosigkeit weiden. Hämisch würde sie mir raten, doch eine Wahrsagerin aufzusuchen, die die Zukunft prophezeite. Dann würde sie mir die einzige Wahrsagerin empfehlen, die nur Unglück vorhersehen kann. Dieser schleimigen Natter würde es auch gelingen, meine Tante Halina bei mir anzuschwärzen, den Verdacht in mir zu nähren, die boshafte alte Dame habe mich durch ihre merkwürdige Erbschaft aus purem Vergnügen im Ungewissen gelassen. Aber warum macht Halina es mir so schwer? Warum hat sie mir keinen Brief hinterlassen? Wie soll ich ihren letzten Willen begreifen? Je mehr ich über ihre rätselhafte Botschaft nachdenke, desto verwirrender wird sie.
    Ich öffne Halinas Koffer, nehme den alten braunen Besteckkasten heraus, breite das Besteck auf dem Bett aus. Vielleicht gibt die Gravur mir einen Hinweis. Die Perlmuttgriffe sind stark verschmutzt, die Silberfassung ist schwarz angelaufen. Ich wasche das Besteck vorsichtig unter fließendem warmen Wasser, trockne es ab, erfreue mich an dem irisierenden Schimmer der Perlmuttgriffe, entdecke plötzlich zierlich eingravierte Fische an der silbernen Manschette. Was für ein wunderschönes altes Fischbesteck! Wo aber sind die restlichen vier Fischgabeln geblieben? Wo sind die drei fehlenden Fischmesser? Ist das der Fingerzeig? Gehören sie der Familie meines zukünftigen Mannes? Soll ich eine Anzeige aufgeben, ein Treffen all derjenigen organisieren, die ein unvollständiges Fischbesteck besitzen? Oder kommen vielmehr nur Männer in Frage, die Goldfisch, Wildfisch, Krummfisch, Stockfisch oder Fischmich heißen? Soll es der Name eines biblischen Fisches sein, den meine Urahnen aßen, oder ein Fisch, der Noahs Arche begleitete?
    Ich werde die erste ausgefallene Wimper, die ich unter meinem Lid entdecke, zu Rate ziehen. Ich lege sie vorsichtig auf die Fingerkuppe meines Zeigefingers, so halb über die Fingerspitze ragend, dennoch gut anhaftend, zum Abflug bereit. Während ich kräftig puste, beginne ich alle Fischnamen, die mir einfallen,

Weitere Kostenlose Bücher