Und da kam Frau Kugelmann
geschah. Wir Schulkinder gehörten übrigens zum Straßenbild. Händler, Kutscher und Lastenträger lebten auf unseren Straßen. Sie verdienten dort ihr Brot, warteten auf die eine oder die andere Gelegenheitsarbeit. Besonders vor den Lastenträgern, bei uns hießen sie die Bachmanns, haben wir Kinder großen Respekt gehabt. Das waren kräftige Kerle. Ich habe einmal beobachtet, wie so ein Bachmann in einer Wirtschaft eine frisch gebratene halbe Gans mit einem Satz aufaß und sich danach die Hände einfach an seinem Sackleinenhemd abwischte, bevor er ein halbes Brot mit hurtigen Bissen verschlang. Vier Zloty kostete so ein riesiges Mahl, wenn der Bachmann aber nur zwei Zloty in der Tasche hatte, dann nahm der Wirt auch die halbe Summe mit einem freundlichen Lächeln entgegen, denn kein Gastwirt wollte sich mit einem Bachmann anlegen. So ein Bachmann konnte auf seinem breiten Rücken ohne weiteres hundert Kilo laden, so gewaltige Kerle waren sie. Sie tranken auch gerne einen Liter Bier oder Wodka gerade mal so im Stehen. Einmal haben sie sogar unsere Stadt bravourös gegen die feinen Studenten verteidigt«, sagt sie, schlüpft schnell aus ihren Sandalen und lehnt sich seufzend zurück.
Die Bachmanns
»Die Lastenträger verteidigten unsere Ehre. Randalierte ein betrunkener Pole auf der Straße laut gegen uns, Zydy, Kurvy, miese Juden, Nutten, dann genügte ein Pfiff in der Nähe des Friedhofs, und schon eilten unsere Lastenträger wie eine eigene Polizei herbei und beschützten uns.
Im Jahre 37 sind Studenten, Mitglieder der schlimmen, harmlos klingenden Parteiorganisation ›Endecja‹ der Universitäten Lemberg und Warschau durch ganz Polen gezogen, um Juden zu schikanieren, Scheiben einzuschlagen und Geschäfte zu demolieren. Sie kamen auch nach Bendzin. Sie warfen ihre Mützen in die Höhe und beschimpften uns: ›Hurra, hurra, wir sind da und nieder mit dem Judenpack!‹ Da verbrüderten sich viele Polen mit ihnen, und selbst Bolek, der friedliche Sohn unseres Hausmeisters, fing plötzlich das Randalieren an und zeigte den Endecjern, in welchen Häusern und Straßen Juden zu finden waren. Als die Studenten zu ihrer großen Belustigung anfingen, Frau Smigrod und ihre Schwester Rywka Scheina, die mit vollen Einkaufskörben unterwegs waren, von der Kollontajastraße zur Brücke zu jagen, da waren plötzlich, ehe die Studenten sich versahen, unsere Lastenträger zur Stelle. Es hat mit den gebildeten Studenten eine Massenschlägerei gegeben, wobei es unter den Lastenträgern als besondere Trophäe galt, die Mütze eines Studenten zu erwischen und sie hoch in die Luft zu werfen, zum Beweis unserer Schlagkraft. Die Lastenträger, deren linke Hand nicht wie bei den Studenten durch das einhändige Schreiben vernachlässigt war, schlugen mit beiden Händen kräftig zu. Man konnte oben die Mützen in die Luft steigen sehen, während sich unten die Männer die Nasen blutig hauten. Noch bevor die Studenten kapitulierten, schritt die Polizei ein. Die Polizisten fischten auch einige der unsrigen aus dem Fluss. Dabei wurde Janek, einem ganz jungen Lastenträger, der noch nie im Fluss gebadet hatte, das Leben gerettet. Ein Dankeschön gab es für die tapferen Lastenträger nicht. Wir haben ihren Einsatz als eine Selbstverständlichkeit angesehen. Der Polizist aber, der den Lastenträger auf seinem Rücken aus dem Wasser zog, erhielt vom stellvertretenden Bürgermeister Pessachsohn lediglich eine Belohnung, obwohl er für die Rettungsaktion allemal eine Beförderung verdient hätte, denn es war ein bitterkalter Tag gewesen.
Und eines steht fest, nach der blutigen Schlacht mit den Bachmanns haben die randalierenden Studenten um unsere Stadt einen großen Bogen geschlagen, und keiner von den noblen Studentenmützen hat sich mehr in die Nähe von Bendzin gewagt.
In der siebten Klasse haben Kotek, Adam, der schlaue Gonna, Fettauge, Mietek und die anderen Kameraden gemeinsam mit den polnischen Schülern in der Kaserne eine Militärvorübung absolvieren müssen. Für die Abiturienten, die Elite des Landes, war die Offizierslaufbahn vorgesehen. Allerdings verzichtete das Militär dann gerne auf die tatsächliche Einberufung der jüdischen Abiturienten, denn jüdische Offiziere waren nicht erwünscht. Wozu also eine militärische Übung für unsere Schüler? Ganz einfach. Die Teilnahme war Pflicht.
Ich zitterte bei dem Gedanken, Adam könne auf seiner schönen alabasterfarbenen Haut eine blutende Wunde davontragen, denn wir
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