Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minka Pradelski
Vom Netzwerk:
oder gar ein leeres Glas, auch diese Geste hätte ihm als letzter Abschiedsgruß genügt.
    Aber stattdessen wartete ihre jüngere Schwester Pepa am Fensterrahmen und hielt Ausschau nach Gonnas Vater. Sie war sehr niedlich anzusehen mit ihren graugrünen Augen. Maites Familie lacht über mich, dachte er, diese groben ungehobelten Leute stellen mir die kleine Schwester als Falle hin, und wenn sie mir irgendwann gefallen wird, werden die Eltern sie wieder verheiraten und stellen mir dann eine noch jüngere hin, und so geht es immer weiter, bis sie keine Töchter mehr haben.
    Er wandte sich aus Kummer über den Liebesschmerz vom Studium der heiligen Schriften ab. Die Buchstaben waren plötzlich wie verhext, sie verschwammen vor seinen Augen. Wie sollte er gottesfürchtig bleiben, wenn fromme Leute ein so schändliches Spiel mit ihm trieben. Er war nicht mehr derselbe und wußte nicht, wohin mit sich.
    Ein Jahr später fiel ihm die Entscheidung für Bluma leicht. Die Eltern, Welwel und Chane Bajle, haben ihm Bluma vorgeschlagen, vielleicht mochte er eine Freie, und besser eine Freie, als womöglich unverheiratet zu bleiben. Bluma gefiel ihm, aber dieses Mal gab es kein Gefühl von Ewigkeit, sondern vielmehr gefiel ihm der feste Blick aus ihren klaren braunen Augen. Durch die Heirat war der belastende Spuk mit der Liebe endlich vorbei, und ihm konnten Augenfarben, und waren sie noch so ungewöhnlich, nie mehr etwas anhaben.
    Die geschäftige Bluma zog sich in der Ehe rasch die Hosen an und regierte über die vier Kinder und den Mann. Sie führte einen freien Haushalt und legte Stück für Stück die bewährten, guten Sitten ab. Man aß sogar frischen christlichen Schinken in ihrem Haus. Aber nur in der Küche und nur vom Papier, denn sie wollte die Reinheit der Teller für den Besuch der Eltern erhalten. Den Eltern zuliebe hielt sie in zwei kleinen Kammern Milchküche und Fleischküche streng koscher getrennt. In jeder Kammer standen jeweils auf Holzregalen eigene Teller, Töpfe, Kochlöffel, Handtücher und Pfannen. Unterhalb des Fleischgeschirrs ruhte in einer breiten samtenen Doppelschublade das kostbare Schabbes-Besteck: wunderschöne silberne Messer und Gabeln, ein Fisch-, Fleisch-, Kaffeeund Dessertbesteck mit gelblich schimmernden Griffen. Alles nahmen die misstrauischen Eltern sorgfältig in Augenschein, bevor sie sich zum Abendessen am Tisch der Tochter niederließen. Die Schwiegereltern allerdings ließen sich nicht beschwichtigen und rührten aus Sorge, dass die Speisegesetze im Hause ihrer Schwiegertochter missachtet würden, keinen Bissen an. Noch nicht einmal die Gläser benutzten sie. Sie ließen sich nur Wasser einschenken und tranken aus eigens mitgebrachten silbernen Bechern.«
    »Wenn das meine Schwiegereltern gewesen wären, hätte ich ihnen das Haus verwehrt!«
    »Das sagt sich so leicht«, sagt Frau Kugelmann. »Chane Bajle und Welwel waren eben strenggläubige Chassiden. Bluma respektierte sie. Aber nicht immer war man so nachsichtig. Selbst unter den Religiösen ist oft ein Streit ausgebrochen, einmal sogar zwischen Welwel und seinen jüngeren Brüdern. Eines Tages, als Pinje noch ein strenggläubiger Jugendlicher war, da hatte er sich in der Synagoge erdreistet, dem Rabbiner, über den er sich erboste, weil dieser ihm nicht fromm genug erschien, den bestickten Talles vom Rücken zu reißen. Welwel stockte der Atem, er sah sich um, dann versetzte er seinem Sohn eine schallende Ohrfeige, die alle sahen. Aber seinen beiden jüngsten Brüdern, fanatische Anhänger des Rabbiners, reichte die Bestrafung nicht. Sie fielen über Pinje her, zerrten ihn in den Vorraum der Synagoge und verprügelten ihn. Vater und Mendel mit dem schwarzen Fleck eilten Pinje zur Hilfe. Fortan ging man sich aus dem Weg, grüßte kaum, aber an den Feiertagen saß man wieder friedlich vereint an dem feierlich gedeckten Familientisch, mit Kerzenleuchtern, silbernen Bechern und den duftenden Brotzöpfen unter dem bestickten weißen Deckchen.«
    »Wie viele Familienmitglieder saßen um so einen Tisch?«
    »Dreißig bis vierzig.«
    So große Familien habe ich nie gekannt! Die Gäste der Eltern waren meine Familie, Onkel und Tanten für einen Abend. Ein künstliches Gebilde mit täglich wechselnden Gliedern.
    »Wohnten denn viele Fromme in Bendzin? Ich dachte, es sei eine fortschrittliche Stadt gewesen?«
    »War sie auch. Wir hatten Industrieanlagen, Banken und Handelshäuser«, sagt Frau Kugelmann stolz. »Trotz alledem lebten

Weitere Kostenlose Bücher