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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minka Pradelski
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die Challes keinen Schaden davongetragen. Die drei sind auf leisen Sohlen zu den Ärmsten geschlichen und haben ihnen unbemerkt die Challes vor die Tür gelegt, damit sie sich am Freitagabend an dem gezopften Brot satt essen konnten.
    Trotz allem Wohlverhalten war Mendel mit dem schwarzen Fleck oft unzufrieden mit seiner Tochter Mirele. Sie gehe zu schnell, rede zu viel und vor allem sei sie neugieriger, als es sich für eine gute Tochter zieme, schimpfte er und drohte ihr mit dem erhobenen Zeigefinger. Und Mirele hat tatsächlich etwas gewusst, was keiner wissen durfte, und sie hat es mir erzählt, ganz im Vertrauen, dass an Weihnachten die Chassiden in das Stiebel gegangen sind, so wie jeden Tag, aber diesmal nicht etwa zum Beten. Und sie haben die Spielkarten aus den Taschen gezogen, was unerhört war, und in Gruppen von vier oder fünf Karten gespielt, aber nicht zum Schein, sondern so richtig, mit Gewinn und Verlust. Und das alles, damit der andere Gott, zu dem die Christen an Weihnachten so heftig beten, nicht etwa an diesem Tag aus Übermut auch die Gebete der Chassiden, die so wie die anderen zum Himmel flogen, für sich in Anspruch nehme. Und um auszuschließen, dass die Gebete im Himmel die falsche Fährte nehmen, haben die Frommen im Stiebel an diesem Tag, statt zu beten, ganz einfach Karten gespielt und somit dem Christengott ein Schnippchen geschlagen!«
    Dem Christengott ein Schnippchen geschlagen! Was die Chassiden sich so alles ausgedacht haben! Köstlich! Ich kann mich gar nicht satt hören, so groß ist der Spaß für mich. Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht noch zu guter Letzt in Frau Kugelmanns Geschichten verliebe!
    »Frau Kugelmann, ich nehme uns ein Doppelzimmer, und Sie schlafen hier!«, bricht es aus mir hervor.
    Sie stimmt zu, keineswegs überrascht über meinen Vorschlag, steht wortlos auf und geht ins Badezimmer, benutzt meine Toilette, ohne mich zu fragen. Ich überlasse ihr heute Nacht mein Handtuch und meine Seife, wasche ihr den Rücken, teile sogar meine Zahnbürste mit ihr.
    Taumelnd bin ich das Treppengeländer hinuntergewankt und erkläre dem missmutigen Portier in der Hotelhalle, dass ich sofort ein großes, bequemes Doppelzimmer haben wolle, und zwar für die Dauer meines Aufenthalts.
    »Kommt Ihr Freund?«, fragt der Portier mit unverhohlener Neugierde.
    »Nein, es ist für Frau Kugelmann.«
    »Ich kann Ihnen nur ein Doppelzimmer für drei Nächte geben.«
    »Aber das Hotel ist doch halb leer«, protestiere ich. Haben sich denn alle Portiers in Tel Aviv gegen mich verschworen?
    »Mehr als drei Tage kann ich in diesem Fall nicht verantworten«, sagt er.
    »Ich brauche keine Bevormundung. Ich möchte ein Zimmer«, sage ich. Vermutlich hat Koby, den der Portier gegen eine Provision mit Fahrgästen versorgt, ihm von den Vorgängen im Tiefkühlhaus erzählt, und sie wollen mich nicht länger als Gast im Hotel behalten.
    »Sie können ein Zimmer für drei Tage haben«, wiederholt der Portier.
    »Es ist das allererste Mal, dass ich höre, dass freie Zimmer nicht an Gäste vermietet werden. Ich möchte den Direktor des Hotels sprechen«, sage ich kühn.
    »Ich habe meine Anweisungen. Es ist wegen Frau Kugelmann«, sagt der Portier leise zu mir. Dann warnt er mich vor ihr. Frau Kugelmann sei eine gute Bekannte des Besitzers. Er käme auch aus Polen, aus einem benachbarten Städtchen. Deshalb nur dürfe sie in der Hotelhalle sitzen und warten, sonst hätte man sie längst verjagt. Es sei ausgemacht, dass Frau Kugelmann nur vier Gäste pro Jahr und nur außerhalb der Saison ansprechen darf.
    »Warum gerade vier und nicht zehn?«, frage ich.
    Der Hotelier bange um den Ruf seines Hauses. Aber Frau Kugelmann halte sich nicht an die Vereinbarung. Ich sei schon der siebte Gast in diesem Jahr.
    »Der fünfte kürzlich«, sagt der Portier, »war ein Schweizer. Ein junger Mann, der sein Zimmer nach einigen Besuchen von Frau Kugelmann nicht mehr verließ. Seine Eltern, Überlebende aus Polen, haben ihn nach Zürich ausgeflogen. Gerade heute Morgen habe ich mich nach seinem Befinden erkundigt.«
    Gegen einen Aufpreis nehme ich das größte Doppelzimmer, mit einem überdimensionalen herzförmigen Bett, ein Zimmer für Brautpaare, eine wertvoll ausgestattete, weiß getäfelte Honeymoon-Suite mit roter, seidig glänzender Bettwäsche. Frau Kugelmann und ich, wir sind wie ein frisch vermähltes Paar, wir gehören ab jetzt zusammen. In dem Hochzeitsbett werde ich nachts wach liegen und zuhören,

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