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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minka Pradelski
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bei uns viele Fromme. In den Vierteln der Frommen hatte Bendzin sogar einen anderen Namen, da hieß es Jerusalem von Zaglembie.«
    Jerusalem von Zaglembie. Ich koste die Worte aus. Ein wundersamer schöner Name, der mir wie Eis auf der Zunge zergeht. Ob das fromme Viertel in Kalisz auch so einen klangvollen Namen hatte? Vielleicht hieß es goldenes Jerusalem? Kam Vater im goldenen Jerusalem zur Welt? Er stammte aus einer frommen Familie, ich habe ihn am Tisch darüber reden hören. Vater haderte mit der Religion, legte die Traditionen ab, konnte mir nichts vorleben. Nur die alte Ehrfurcht vor der Frömmigkeit ist ihm geblieben, ein Gebot, das er an mich weitergab und das ich blindlings befolgte.
    Ich wage nicht, Frau Kugelmann in die Augen zu sehen und nach Kalisz zu fragen. Sie würde, selbst wenn sie es wüsste, mir aus lauter Ärger die Antwort verweigern.
    »Ein schöner Name«, sage ich nur.
    »Hören Sie doch auf. An unserer Schule waren die Frommen verpönt. Wir lachten über sie, besonders der Adam, der konnte sich ausschütten vor Lachen über ihre rückständige Kleidung, ihre Haartracht, ihr steinzeitliches Leben.«
    »Warum so hämisch?«
    »Wir glaubten, wir seien fortschrittlich. Der schlaue Gonna versuchte sogar, uns seine fromme Verwandtschaft zu verheimlichen. Nur bei Einbruch der Dunkelheit besuchte er seine pummelige Cousine, das kleine Mirele. Der Adam hätte nie einen Fuß in den Rynek gesetzt, das Viertel, in dem Mireles Familie lebte. Ich besuchte Mirele sehr oft, denn ich trug den Kuchen, den Frau Smigrod donnerstags in Mireles Wohnung brachte. Sie konnte ihn wegen ihrer gichtigen Hände nicht tragen, also half ich ihr«, sagt Frau Kugelmann und lehnt sich entspannt auf ihrem Sessel zurück.

Wie dem Christengott ein Schnippchen geschlagen wurde
    »Der smigrodsche Donnerstagskäsekuchen war übrigens eine Delikatesse, aus feinsten Zutaten gebacken, hochstehend, mit bräunlicher Kruste und lockerer Fülle. Frau Smigrod, die aschgrauen Haar sorgfältig gewellt und auf dem Hinterkopf zu einem Nest aufgetürmt, im schwarzweiß gepunkteten Ausgehkleid, das verdächtig über den Hüften spannte, brachte ihn donnerstagnachmittags in die Wohnung ihrer frommen Schwester Rywka Scheina. Sie wollte mit dem köstlichen Kuchen ihre Nichten und Neffen, das pummelige Mirele, Jossel und die anderen dicken Geschwister, erfreuen. Ich begleitete sie. Den Kuchen buk sie morgens, wenn ich noch in der Schule war, damit ich das Geheimnis ihrer Zutaten nicht an ihre Schwester, Mireles Mutter, verraten konnte, die jedes Mal um das Rezept bat.
    Das pummelige Mirele wohnte übrigens Tür an Tür mit der Betstube der Krimilower Chassiden. Nur eine dünne Wand trennte die Schlafstube der Kinder vom Raum der jungen Knaben mit ihren zarten hohen Stimmen ab, die dort unterrichtet wurden. Mirele und ihre Geschwister konnten sich das Einschlafen gar nicht anders vorstellen als mit dem leisen Singsang der Stimmen von nebenan, denn das Beten hat sie abends vom Wachsein in den Schlaf begleitet, und frühmorgens hat das Beten und nicht die Helligkeit des Tages sie aus dem Schlaf in den Tag gebracht.
    Einmal kam Mendel mit dem schwarzen Fleck, Mireles Vater, verspätet vom Beten aus dem Stiebel, weil der Gabbe, der Synagogenvorsteher, die Männer nicht gehen lassen wollte, ehe ein gewisser Betrag für die Töchter des Nathan Schmelewer gespendet wurde. Der Schmelewer hieß zwar Nathan Pfefferbaum, aber man nannte ihn den ›Schmelewer‹, weil er aus Schmelew kam. Und so hießen noch zwei andere im Stiebel nach ihren Heimatorten ›Janowser‹ und ›Woler‹, anstatt Spiegel und Diamant.
    Der Nathan Schmelewer liebte es, Karten zu spielen. Seine Ehefrau verkaufte Pfannkuchen auf der Straße, die waren so schmackhaft, dass ich später nie wieder einen Pfannkuchen gegessen habe, der nur annähernd so vorzüglich schmeckte. Den Pfannkuchen buk sie im Ofen, schnitt ihn in kleine Stücke und bot ihn uns auf einem Holzbrett an. Wir Kinder haben immer zugegriffen, und wenn wir Geld in der Tasche hatten, haben wir das ganze Tablett leergekauft.
    Im Stiebel erzählte man sich, dass der Schmelewer im einzigen Wirtshaus, in dem sich Juden zum Kartenspiel trafen, mit einem Herzinfarkt zusammengebrochen ist, aber nur beim Kibitzen, wegen der Aufregung über ein gutes Blatt, denn für die Spielleidenschaft ihres Mannes hat die Frau nie genügend Pfannkuchen verkaufen können. Als seine Familie ihn zu Grabe trug, weinte am heftigsten die arme

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