Und da kam Frau Kugelmann
sich der Geselle in die Nähe des Ofens, träumte davon, dass er selbst bald eine eigene Bäckerei besitzen würde mit einem Gesellen als Gehilfen, der samstags verärgert die Arbeit verrichten musste. Wenn ihm langweilig wurde, holte er einige Tscholenttöpfe aus dem Ofen. Nur zu seinem Vergnügen, gerade so als wolle er prüfen, ob sie die richtige Temperatur hätten. Er holte sich einen schönen emaillierten, lüftete den Deckel, und während das schielende Auge nur die Umrisse erfasste, schaute sich das gesunde Auge alles gründlich an, was die reichen Wassersteins wohl heute an Fleisch zum Mittag verspeisen würden und ob es ein gutes Stück vom Rind war, zarter als letzten Samstag, wo das Fleisch auch beim Abholen noch ein wenig zu fest war. Er wollte wissen, ob die Goldsteins vielleicht diese Woche einen Tscholent nach Bendziner Art zubereiten würden oder ob sie immer noch ihren Topf nach der Art von Wilna füllten, von wo sie zugezogen waren. Wenn er aber an einem Morgen, an dem das Beten allzu lange dauerte und er durch das Fenster sah, dass sogar die Straßenbahn leer vorbeifuhr, weil sich alle Fahrgäste in der Synagoge befanden, wenn an diesem Tag sich die Träume nicht einstellen wollten, dann konnte es sein, dass er die Töpfe aus dem Ofen holte und den Inhalt ein wenig durcheinander brachte. Er gab jedem ein wenig von dem anderen, den mageren Töpfen gab er von dem Fleisch der Dicken, und die Dicken bekamen die Bohnen der Armen, ein kleiner Ausgleich für das ungerechte schwere Leben. Aber es ist nur ganz selten passiert, denn wo sollte ein Bäckergeselle, der sich ganz besonders aufs Tscholentbacken und Kaffeekochen verstand, anders seinen Lebensunterhalt verdienen als in so einer kleinen chassidischen Bäckerei.
Später im Getto, Schulter an Schulter beim Steineschleppen im gleichen Außenkommando, lernte der schöne Adam mit der ihm eigentümlichen Leichtigkeit vom fehlsichtigen Tscholentbäcker das einst in der Schule so verpönte Jiddisch sprechen. Eines Morgens rief der Scharführer den schönen Adam aus der Kolonne und sagte: ›Na, du naseweiser Jude, antworte auf Deutsch und nicht in eurer Gesindelsprache, wer von uns beiden wird den Krieg gewinnen, ich oder du?‹ Und Adam antwortete: ›Herr Scharführer, wenn Sie mich erschießen wollen, dann tun Sie es gleich. Wenn ich die Wahrheit sage, werden Sie mich erschießen, und wenn ich lüge, bekomme ich dieselbe Kugel.‹
Am nächsten Tag wurde Adam eine bessere Arbeit zugeteilt. Der Tscholentbäcker blieb im Außenkommando und wurde, weil er keine Fürsprecher hatte, für den ersten Transport nach Auschwitz ausgewählt. Er verabschiedete sich von Adam mit den Worten, er werde um sein Leben nicht kämpfen, für wen solle er Tscholent backen und Kaffee kochen, wenn er je den Krieg überlebt?«
»Was ist mit Ihnen?«, fragt Frau Kugelmann irritiert. »Sie sind ja ganz blass um die Nase.«
Angst überfällt mich. Die vielen Toten. Ich darf nicht versäumen, Frau Kugelmann nach meinem neuen Vater auszufragen, auch wenn mir dabei sehr unbehaglich zumute ist. Sie ist die einzige Zeugin, die ihn schon als Jugendlichen kannte.
»Gonna, Ihr Schulkamerad, ist mein Vater!«, rufe ich ihr zu.
»Wieso kommen Sie denn jetzt darauf?«, fragt sie misstrauisch.
»Ich weiß es.«
»Vorgestern haben Sie jeden Gedanken an eine Verwandtschaft abgestritten. Gestern haben Sie Ihren vermeintlichen Vater mit keinem Wort erwähnt, und plötzlich, aus heiterem Himmel, wollen Sie mir weismachen, dass Sie einen neuen Vater haben?«
»Gonna ist mein Vater!«
»Das behaupten Sie. Wie können Sie so dreist sein!« Frau Kugelmann erzürnt sich immer mehr. »Wer weiß, ob Ihnen das Fischbesteck überhaupt gehört. Ihnen war noch nicht einmal der Name Bluma geläufig. So hieß Ihre angebliche Großmutter. Was erlauben Sie sich!«
»Aber Bluma gehört zu mir.«
»Was heißt gehört zu Ihnen! Ein bisschen schwanger gibt es nicht. Ist sie nun Ihre Großmutter oder nicht?«
»Ja«, schreie ich, »sie ist es!«
»Wieso kennen Sie dann noch nicht einmal ihren Namen?«
»Vater hat sie mir verschwiegen. Er hat nie über sie gesprochen.«
Minutenlang schweigt Frau Kugelmann betreten. Dann sagt sie nachdenklich: »Sie behaupten also, Gonnas Tochter zu sein, oder vielmehr, Sie wollen es sein. Vielleicht sind Sie es wirklich. Komm her, lass dich mal ansehen«, sagt sie mit einem Anflug von Güte zu mir. Dann schüttelt sie ungläubig den Kopf »Wer hätte je gedacht, dass
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