Und da kam Frau Kugelmann
nur noch ihre Unterschrift unter die Anmeldung zu setzen.
Auf dem Nachhauseweg sah sich Jossel schon in der neuen Schuluniform spazieren gehen, ein akademisches Leben würde er führen mitten am Rynek, am Markt, unter den Augen der Frommen. Statt der ersehnten Unterschrift haben alle drei Söhne von ihren Vätern Prügel bezogen. Jossel traf es am schlimmsten. Mendel mit dem schwarzen Fleck war außer sich vor Wut über das Ansinnen, wie ein Freier zur Schule zu gehen und die Kopfbedeckung abzulegen, und derart erbost, dass er eine Armlehne aus einem alten, wackeligen Stuhl riss und Jossel so heftig verprügelte, dass der Sohn vor dem Vater auf die Straße floh. Mendel rannte mit der Stuhllehne in der Hand hinter ihm her, und so liefen sie durch die Straßen Bendzins. Der wütende Vater holte Jossel ein und verprügelte ihn, bis Jossel sich wieder losriss und dem Vater davonlief. In seiner Verzweiflung beschloss Jossel auf den christlichen Friedhof zu rennen. Auf dem christlichen Friedhof war er sicher, denn er wusste, dass sein Vater ihm nicht folgen würde, denn ein Chassid hätte niemals, auch nicht bei Gefahr von Leib und Leben, einen christlichen Friedhof betreten.
Nussan und Arie wurden ebenfalls von ihren Vätern verprügelt. Doch trotz der schmerzhaften Bestrafung wollte keines der begabten Kinder das Lernen aufgeben. Der Langfuß unterstützte sie. In aller Heimlichkeit hat er Jossel, Nussan und Arie in seinem Haus weiter unterrichtet. Samstags, nach dem Beten, sind sie von der Synagoge zu ihm geschlichen, die Schulbücher unter dem Feiertagshemd versteckt. Wenn alles gut ging, wollten die drei sich auf ein externes Abitur vorbereiten. Aber da fingen die schrecklichen Zeiten schon an, und niemand wird je sagen können, ob der Langfuß die wissbegierigen Kinder tatsächlich hätte bis zum Abitur führen können oder ob die Eltern den heimlichen Unterricht entdeckt und mit weiteren Prügeleien ihren Söhnen das Lernen ausgetrieben hätten.
Im Jahr, als Vater und Sohn nicht miteinander sprachen, wollte Jossel einen Gewaltakt begehen und sich die Peijes abschneiden lassen. Er träumte davon, nur noch eine knappe Kopfbedeckung zu tragen, wie die Knaben, die schon ein ganzes Stück fortgeschrittener waren als er. Beim Anblick der nackten Backen würde der Vater entsetzt aufschreien, aber zu rechtfertigen brauchte Jossel sich nicht. Deswegen war es von Vorteil, sich die Peijes abzuschneiden, solange er mit dem Vater noch im tiefen Streit lag. Wie aber sollte er sich mit nacktem Gesicht dem Vater zeigen? Sollte er die Peijes jeden Tag Stück für Stück abschneiden, bis sie nur noch kurze Stümpfe waren, von einem einst prächtigen Strang? Oder sollte er Geld sparen für den Barbier, damit er die langen Peijes mit einem einzigen Satz von ihm abschnitt? Vor dem Geschäft des Barbiers Lachmann ging Jossel grübelnd hin und her. Der Barbier kannte die Schritte vor seiner Tür, von Zweifeln gequält, kurz davor, die schwere Tat zu begehen. Da waren schon viele auf und ab gegangen. Für Familienväter gab es nun einmal vor der Tür des Barbiers kein zurück, die Geschäfte in den Großstädten erforderten Haar- und Bartschnitt, sonst ließen sich die Waren nicht gut verkaufen. Und nach dem Barbier ging man zum Schneider nebenan, das war vergleichsweise nur noch ein kleines Vergehen, legte voller Scham den langen schwarzen Mantel ab und kaufte sich für die Fahrt einen kurzen Überrock, in dem man angenehm reiste und Handel trieb.
Aber Jossel erschauerte bei dem Gedanken an den Schnitt, es war mehr, es war geradezu eine Amputation, und das abgeschnittene Haar an den Schläfen wächst nie mehr so schön und unschuldig zurück, und jeder könnte sofort sehen, dass er ein Abtrünniger war. Der Lachmann hatte für die Peijes ein besonderes Barbiermesser, mit weißem Griff, das gut in der Hand lag, denn die meisten Opfer wichen im letzten Augenblick zurück. Es war besonders scharf, denn mit einer Handbewegung, auf einen Satz musste man die beiden Peijes abschneiden. So schnell, dass es der Sünder im Spiegel gar nicht sah, wenn er überhaupt mit offenen Augen mit ansehen konnte, was mit ihm Fürchterliches geschah. Nach dem schicksalhaften Augenblick trat der Lachmann vornehm zurück, ließ den Kunden Zeit für einen Moment der Besinnung. Dann nahm der Lachmann die große Schere in seine geschickten Hände, und ganz sachte fing er an, die jämmerlichen Stümpfe und das Haupthaar zu bearbeiten und in eine moderne
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