Und da kam Frau Kugelmann
Frisur zu verwandeln, mit Brillantine und duftendem Haarwasser.
Nach dem Eingriff rannte Jossel nach Hause, um die zu erwartenden Prügel so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Mendel mit dem schwarzen Fleck stutzte über den fremden Jungen mit den bekannten Gesichtszügen, dann aber, als er plötzlich seinen eigenen Sohn erkannte, packte ihn das Grausen, und er fiel in eine tiefe gnädige Ohnmacht. Diese Ohnmacht war für Jossel die schlimmste aller Strafen, aber die Peijes hat er sich nicht mehr nachwachsen lassen.«
Die Klimaanlage ist heute früh ausgefallen. Frau Kugelmann hat vorzeitig das Zimmer verlassen, denn ich muss packen und ausziehen. Die Hitze dringt durch die Ritzen der Honeymoon-Suite. Schwitzend, nur mit einer Unterhose bekleidet, schiebe ich das Gepäck in den Flur des kleinen Appartements. Drei Tage wurde mir die luxuriöse Zimmerflucht gewährt, nun stehe ich am Empfang und verhandele mit dem Portier über die Verlängerung meines Aufenthalts.
Neben mir eine etwa gleichaltrige, langhaarige junge Frau, die den Portier auf Englisch mit deutscher Aussprache bittet, einen Hotelgast, der oben im Zimmer auf sie wartet, zu benachrichtigen. Sie spricht ihren Namen so undeutlich aus, dass ich ihn kaum verstehe. Instinktiv rücke ich zur Seite. Und wenn sie nun Silberberg hieße? Angenommen, ich stünde leibhaftig vor meiner Doppelgängerin? Müsste sie mir nicht auf das Haar gleichen? Was tun, wenn sie es tatsächlich wäre? Sie ohrfeigen, bis sie zusammenbricht? Ihr die gehässigen Taten vorwerfen, mit denen sie mich traktiert? Welche Taten? Ich kann ihr noch nicht mal nachweisen, dass sie den Portier bestochen hat. Ich kann nicht umhin zu denken, dass ich ihr dankbar sein muss, weil sie mir bei der Zimmervergabe zuvorkam. Wie sonst hätte ich Gonna gefunden? Ernüchtert blicke ich zum Portier. Könnte die Verwechselung meines ursprünglich reservierten Zimmers nicht auch auf einem simplen Buchungsfehler beruhen? Weil eine der beiden Buchungen auf den Namen Silberberg versehentlich im Hotelcomputer gelöscht wurde, erhielt die erste Silberberg, die das Hotel betrat, den Zuschlag. Was tun, wenn nun sämtliche Anschuldigungen gegenüber der anderen Silberberg aus der Luft gegriffen wären? Meine Namensvetterin in Wirklichkeit eine friedfertige Person ist, eine angenehme freundliche Touristin, eine geschickte Frau, der im Handumdrehen alles gelingt, was mir in meinem Leben versagt geblieben ist? Sie ist die Traumtochter ihrer Eltern, eine erfolgreiche Anwältin, sympathisch, gewinnend, die noch im Flugzeug, bevor sie israelischen Boden betritt, auf den Richtigen trifft: Sie sitzt neben einem jungen ledigen Arzt aus Frankfurt, mit dem sie eine gute Ehe führen wird. Noch auf der Bordtoilette zeugen sie ihr erstes Kind und im September wird die große Hochzeit gefeiert . . .
Mit dem Portier werde ich schnell handelseinig. Er will keinen Ärger haben, warnt er mich. Er sieht mich prüfend an, gibt mir ein schönes Zimmer auf dem Business Floor, das Stockwerk für bevorzugte Gäste, mit freiem Zugang zu einem kleinen Aufenthaltsraum, in dem abgestandene Softdrinks und vertrocknete Plätzchen gratis angeboten werden. Als Frau Kugelmann am nächsten Morgen ihren Platz im Sessel einnimmt, frage ich sie, ob Halina ihr vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt auch ein Fischmesser geschenkt hat.
»Ich habe Halina seit dem Tag meiner Ankunft nicht mehr gesehen«, antwortet sie.
»Nie wieder?«
»Wir sind uns nicht mehr begegnet.«
»Haben Sie eine Ahnung, wer im Besitz der fehlenden Fischmesser sein könnte?«
»Wieso, fehlen auch Messer in Ihrem Besteckkasten?«
»Drei Stück«.
»Damals in Polen war es noch vollständig.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Was wollen Sie überhaupt mit den Fischmessern?«
»Ich bin neugierig, wo sie geblieben sind!«
»Fehlen Ihnen drei Fischmesser zu Ihrem Glück?«
»Ich will alles so weit wie möglich aufklären.«
»Für manches gibt es keine Antwort. Wir müssen mit dem Ungewissen leben«, sagt sie kopfschüttelnd und blickt mich dabei nachdenklich an.
»Schauen Sie«, fährt sie tröstend fort, als sie mein enttäuschtes Gesicht sieht, »die Fischmesser aus Bendzin sind doch nicht so wichtig. Man hat doch nur an Schabbat Karpfen gegessen, und nur die Reichen hatten ein Fischbesteck. Wichtig war, dass überhaupt Essen an Schabbat auf den Tisch kam«, sagt sie leise. Dann bricht sie unvermittelt das Gespräch ab, beachtet mich nicht mehr, bettet ihre Füße
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