Und da kam Frau Kugelmann
ist so gekommen, weil er an jenem schlimmen Morgen in Hannover, als die mit den schweren Stiefeln die Tür eintraten, vor Schreck die Lederschuhe nicht finden konnte. Es blieben dem Heinz und seiner Familie nur zehn Minuten Zeit, sich Kleider und Schuhe anzuziehen. Bei dem Durcheinander war es nicht einfach, überhaupt etwas zu finden. Die Eltern haben nicht bemerkt, dass ihr Sohn in Hausschuhen zum Bahnhof getrieben wurde.
Die Hausschuhe hatte er von seinem Onkel Sally geschenkt bekommen. Der Sally war nur drei Jahre älter, aber ein richtiger Onkel. Und als der Sally nach Venezuela auf und davon ist, ein paar Monate zuvor, da hat er die Hausschuhe dagelassen, in Venezuela brauchte er sie nicht. Da war es schon am Morgen so schön tropisch warm, dass man barfuß herumlaufen konnte. Wenn es wirklich einmal kalt wäre, dann würde ihm sicher eine schöne Venezolanerin mit feurigen Augen die Füße wärmen, jedenfalls haben sich Sally und Heinz das so vorgestellt. Und in Venezuela schlief man, wenn man sich abends ins Bett legte, ohne Angst bis zum nächsten Morgen. Wenn man aufstand, biss man in eine kräftige Scheibe Brot mit so dicker venezolanischer Butter, dass der Abdruck der Zähne ganz deutlich auf der guten Butter zu sehen war bis zum nächsten Biss. Man konnte in Venezuela auch zwei oder drei Butterbrote hintereinander essen, ohne Sorge zu haben, dass man anderen Familienmitgliedern ihre kümmerliche Judenration wegaß.
Die Hausschuhe, die der Heinz vom Sally geschenkt bekommen hatte, waren bequem und schön anzusehen. Sie waren außen grau und innen mit weißem Stoff abgefüttert, und auf dem Vorderfuß hatten sie einen schönen pelzigen Kragen, der sich der Spitze zu seitwärts wölbte wie ein kleiner Mantelkragen. Sie wärmten Heinzens Füße gut. Wenn Heinz sie trug, hatte er das Gefühl, bei Sally im fernen freien Venezuela zu weilen.
Und so ist Heinz mit den venezolanischen Hausschuhen in den Zug eingestiegen, angetrieben von einem Gewehrstoß in seinen Rücken, weil das Einsteigen denen wieder zu langsam ging. Und weil er in dem Gedränge nach vorne in den Waggon gestoßen wurde, hat er seine Eltern verloren. Und Herbert Kanner hat, als der Zug losfuhr, laut seinen Namen gerufen, damit der Heinz wusste, dass der Vater, die Mutter und die Schwestern und die Großeltern sich in demselben Abteil befanden.
Der Zug war ganz anders als die Züge, die Heinz kannte, denn in diesem Zug gab es keinen Platz zum Sitzen, da mussten alle, die hineingeschoben wurden, dichtgedrängt nebeneinander stehen. Nur die Alten, die Kranken und die Kinder, und davon gab es glücklicherweise nicht allzu viele, saßen oder lagen übereinander auf dem kalten Boden, fast ohne Bewegung, wegen der fürchterlichen Enge.
Der Heinz fühlte durch die dünne Sohle Halme am Boden. Es roch so, als habe man hier kurz vorher noch Vieh transportiert, die Augen tränten ihm, und die Nase lief genauso wie im Sommer auf einer Wiese. Und weil die Sohle so dünn war und der Hausschuh aus Stoff, hat Heinz mit den Füßen fühlen können, was sich alles so am Boden abspielte. So hat neben ihm ein Mann mit großen Füßen und kräftigen Beinen einer kleinen Frau Halt gegeben, weil sie jedes Mal, wenn der Zug über eine Weiche fuhr, vor Schreck aufschrie. Die Frau, die er stützte, kannte er nicht, denn wenn der Zug wieder gleichmäßig fuhr, hat er seine Beine ein Stück zurückgezogen, so weit es eben ging, als sei jede Berührung ohne Ruck zu viel. Der nächste Ruck war ein ganz gewaltiger, aber die Füße mit den starken Beinen waren sofort zur Stelle, stützten und schützten die Beine der Frau wie zwei mächtige Säulen aus Granit. Nach einem weiteren Ruck, der eigentlich nur ein kleines Stolpern war und keinesfalls mit dem vorhergehenden zu vergleichen, waren die Füße wieder zur Stelle, treu und zuverlässig. Aber diesmal blieben sie gleich da, als hätten sie schon immer zu der Frau gehört. Als der Zug dann über eine größere Strecke ganz gleichmäßig fuhr, konnte Heinz fühlen, wie die vier Füße sich aneinander schmiegten und sich tröstend aneinander rieben.
Es gab neben dem Heinz ein paar kleine Füße, die haben andere, die den Füßen zu nah kamen, mit einem kurzen festen Tritt beiseite geschoben. Die Füße haben getreten, wie eben nur ein kleiner Fuß treten kann, der mit seinen Kräften schonend umgehen muss und sich nicht bei einem einzigen, stählernen Tritt verausgaben kann. Der Mann, der zu den Füßen gehörte, war
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