Und dann der Himmel
unvermeidlich. Die Teetassen eines am Nebentisch frühstückenden Pärchens gingen zu Bruch, Brötchen flogen wie fehlgezündete Kanonenkugeln durch die Gegend, Erdbeerkonfitüre und Kaffee spritzten auf den Boden. Zwei ältere Damen, die sich nach einem Friedhofsbesuch zu einem wärmenden Espresso getroffen hatten, flüchteten kreischend auf die Damentoilette und drei Teenager, die damit beschäftigt gewesen waren, sich gegenseitig von ihren weihnachtlichen Geschenkehoffnungen zu erzählen, brachten sich hinter der Theke in Sicherheit. In Ermangelung eines besseren Gegenstandes griff die erboste und um ihr Inventar fürchtende Bedienung zu einem Staubwedel und drosch damit auf Adolf ein, was wiederum Simon und meine Mutter auf den Plan rief, die nun hinter der Bedienung herliefen, um ihr Einhalt zu gebieten. Vor dem Schaufenster blieben Passanten stehen, vergaßen ihre Einkaufspläne und betrachteten mit offenem Mund die scheinbar zur Realität gewordene Imitation eines Charlie-Chaplin-Films. Das Chaos wurde erst schlagartig beendet, als Fridolin einen verhängnisvollen Fehler beging. Anstatt sich weiterhin in unzugänglichen Ecken und Nischen zu verstecken, wo er vor den Pranken von Adolf relativ sicher war, und darauf zu vertrauen, dass ihn jemand aus seiner misslichen Lage befreite, versuchte er, in die Küche zu flüchten, deren Tür offen stand, und unternahm einen heroischen Ausbruchversuch über das offene Gelände des Gastraums. Er kam ungefähr zwei Meter weit, bevor er vom hungrigen Maul der Dogge aufgehalten wurde, die ihn mit einem Haps verschlang.
„Die Bedienung hat nach diesem Zwischenfall natürlich keinen gesteigerten Wert mehr auf unsere Anwesenheit gelegt“, schließt Sabine ihren Bericht. „Eigentlich wollte sie erst die Polizei rufen, aber nachdem ich ihr deine Adresse und Telefonnummer wegen der Schadensregulierung gegeben habe, konnte sie uns gar nicht schnell genug loswerden.“
„Meine Adresse und Telefonnummer? Es war doch dein Sohn, der das ganze Durcheinander verursacht hat!“ sage ich entgeistert und versuche mich krampfhaft zu erinnern, ob ich dieses Jahr die Haftpflichtversicherung bezahlt habe.
„Mein Sohn?“ erwidert meine Schwester und stemmt die Arme in die Hüften. „Es waren dein Hamster und dein Hund, die sich nicht beherrschen konnten!“
„Mein Hamster ist tot!“ sage ich erbost. „Du könntest ein bisschen mehr Feingefühl zeigen!“
„Jetzt stell dich nicht so an“, redet Sabine meinen Verlust mit einer wegwerfenden Handbewegung klein. „Ich kauf dir einen neuen.“
Wütend starre ich auf Adolf herunter, der noch immer schuldbewusst vor mir im Staub kriecht. „Du Mörder!“ schnauze ich ihn an. „Ich hoffe, Fridolin liegt dir im Magen wie ein Stein! Nichts als Ärger hat man mit dir, du blöde Töle!“ Ich will meinem angestauten Ärger weiter lautstark Luft machen, als meine Mutter mich unsanft in die Rippen boxt. „Was ist?“ sage ich gereizt.
Sie deutet auf den Priester ein paar Meter von uns entfernt, der sich unentwegt räuspert und dabei in unsere Richtung schielt.
„Ich glaube, der Mann will seinen Job zu Ende machen“, flüstert sie.
„Von mir aus“, brumme ich unwirsch. „Ich halte ihn nicht davon ab!“ Als Zeichen, dass ich den Priester verstanden habe, scheuche ich meine Familie in Richtung Friedhofsausgang.
Doch ich habe die Rechnung ohne Rafael gemacht. Mit gemächlichen Schritten steuert der Engel auf die Trauergesellschaft zu.
„Rafael!“ rufe ich ihm alarmiert nach. „Komm zurück! Lass uns lieber weiterfahren!“ Etwas in seinem Gesicht verrät mir, dass es besser wäre, den Engel nicht erneut an einem Glaubensritual teilnehmen zu lassen; er hat bei der Frühmesse im Dom schon genug Schaden angerichtet. Aber ich kann es nicht verhindern, denn in diesem Moment räuspert sich der Priester ein weiteres Mal und klappt das Rituale auf.
„Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“, beginnt er. Seine Stimme überschlägt sich, als hätte er noch mit den letzten Ausläufern der Pubertät zu kämpfen.
„Ich möchte nur zuhören“, beruhigt mich Rafael. „Ich hab schon ewig keiner Beerdigung mehr beigewohnt.“
„Ach“, sage ich erstaunt, „ich denke, das ist eine eurer Hauptaufgaben!“
„Du hast mal wieder nicht richtig verstanden“, weist mich Rafael zurecht, während ich und die anderen notgedrungen zu ihm aufschließen. „Engel stehen den Menschen im Moment des Todes bei, nicht während dieser
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